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EWS-Standpunkte
23.02.2015
EWS-Standpunkte
Professor Dr. Markus Ludwigs: Der Strommarkt für die Energiewende im Lichte des Europarechts

Das Design des Strommarkts der Zukunft bildet die zentrale Frage der aktuellen energiewirtschaftlichen Diskussion. Der im Grünbuch des BMWi vom Oktober 2014 unter dem Titel „Ein Strommarkt für die Energiewende“ aufbereitete, aber noch unentschieden gelassene Meinungsstand reicht von einer Fortentwicklung des Energy-only-Marktes (EOM) bis hin zur Schaffung von Kapazitätsmechanismen. Während im EOM 2.0 weiterhin allein die gelieferte Energie vergütet und nur eine „Kapazitätsreserve“ als Sicherheitsnetz aufgebaut würde, hätte die Etablierung eines Kapazitätsmarktes einen echten Paradigmenwechsel zur Folge. Es käme zur Schaffung eines zusätzlichen Marktes für die Vorhaltung von Erzeugungskapazität. Die gesicherte Kapazität würde zugleich am Strommarkt teilnehmen und ergänzend zum Strompreis eine Kapazitätszahlung erhalten. Befürworter und Gegner eines solchen Modells stehen sich in verhärteten Fronten gegenüber. Seitens der Kritiker wird auf die Konterkarierung der Idee eines liberalisierten Strombinnenmarktes hingewiesen. Die mangelnde Rentabilität konventioneller Kraftwerke sei Ausdruck abzubauender Überkapazitäten und rechtfertige nicht die Schaffung neuer Renten für die Stromwirtschaft. Geboten sei vielmehr eine Reform des EOM, bei der die Flexibilisierung des Strommarktes sowie die freie Preisbildung im Zentrum stünden. Die Protagonisten eines Kapazitätsmarktes rekurrieren dagegen auf die im EOM fehlenden Anreize für Investitionen in konventionelle Kraftwerke. Grund hierfür seien die gefallenen Stromgroßhandelspreise sowie die sinkenden Volllaststundenzahlen. Die vorgeschlagene Fortentwicklung zu einem EOM 2.0 erweise sich gerade mit Blick auf die Gefahr einer Skandalisierung von Preisspitzen in der Öffentlichkeit als idealistisch.

Bei rechtlicher Betrachtung gilt es im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die Entscheidung über die Einführung eines Kapazitätsmarktes Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist. Zur Auswahl steht ein breites, z. T. bereits im EU-Ausland erprobtes Spektrum an Modellen. Die Vorschläge reichen von einem zentralen umfassenden Kapazitätsmarkt, bei dem eine Behörde den Gesamtbedarf festlegt und zur Auktion ausschreibt, über das Modell eines zentralen fokussierten Kapazitätsmarktes, der durch eine Zweiteilung der Auktionierung in Neuanlagen und Bestandsanlagen gekennzeichnet ist, bis hin zu einem dezentralen Kapazitätsmarkt, auf dem die Stromlieferanten Versorgungssicherheitsnachweise von den Erzeugern erwerben müssen.

Eine Entscheidung zwischen diesen konkurrierenden Ansätzen hat den europarechtlichen Rahmensetzungen zu entsprechen. Die Aussagen hierzu im Grünbuch des BMWi erschöpfen sich in der Feststellung, dass die EU-Kommission Kapazitätsmärkte als Beihilfe einstufe, was Abstimmungsbedarf hervorrufe. Bei näherer Betrachtung ergeben sich Direktiven sowohl aus dem Sekundär- als auch aus dem Primärrecht. Zunächst enthält die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG (EltRL) in Art. 8 eine explizite Regelung zur Ausschreibung neuer Kapazitäten. Darin wird den Mitgliedstaaten zwar sowohl eine Einschätzungsprärogative bei der Bedarfsfeststellung als auch ein Spielraum beim Design des Ausschreibungsverfahrens eingeräumt. Einschränkungen ergeben sich aber insbesondere im Hinblick auf die in Art. 8 Abs. 4 EltRL wurzelnde zwingende Einbeziehung von Bestandsanlagen.

Den neuralgischen Punkt der Schaffung eines Kapazitätsmarktes in Deutschland bildet seine beihilferechtskonforme Ausgestaltung. Auf der Tatbestandsebene des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist neben einer Erfüllung der anspruchsvollen Altmark-Kriterien zuvörderst an die Etablierung eines staatsfernen Finanzierungsmechanismus zu denken. Im Fall der Schaffung einer Kapazitätsumlage ergäbe sich eine Paralleldiskussion zur vielstimmig geführten Debatte um den Beihilfecharakter der EEG-Umlage. Einen Sonderfall bildet im Übrigen der dezentrale Kapazitätsmarkt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die kostenlose Zuteilung handelbarer Kapazitätsnachweise mit dem Einsatz staatlicher Mittel verbunden ist. Dafür könnte die ETS-Rechtsprechung von EuG (Rs. T-233/04) und EuGH (Rs. C-279/08P) sprechen, in der für kostenlos vergebene Stickstoffoxid (NOx)-Emissionsrechte auf den staatlichen Einnahmeverzicht abgestellt wurde. Bei einer Übertragung dieser Judikatur bliebe indes unberücksichtigt, dass es im ETS-Fall ökonomisch gesprochen um die Internalisierung negativer externer Effekte (Umweltbelastungen) ging. Hiervon kann mit Blick auf die Versorgungssicherheitsnachweise nicht die Rede sein. Die Kostenlosigkeit der Zertfikatsvergabe bildet beim dezentralen Kapazitätsmarkt vielmehr ein systemimmanentes Merkmal, das zur Verneinung der Staatlichkeit der eingesetzten Mittel und damit des Beihilfecharakters führt.

Unterstellt man die tatbestandliche Einordnung des gewählten Kapazitätsmarktmodells als Beihilfe, wäre Deutschland auf eine Genehmigung nach Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV i. V. m. den ermessenslenkenden Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien der Kommission vom 28. 6. 2014 (ABl. 2014 Nr. C 200/1) angewiesen. Die Vielzahl der Kriterien im einschlägigen Abschnitt 3.9. der Leitlinien sieht dabei im Grundsatz auch die Beteiligung von Betreibern aus anderen Mitgliedstaaten vor. Gebietsbeschränkten Kapazitätszahlungen werden derart Grenzen gesetzt. Hiermit korrespondiert, dass ein territorial verengter Kapazitätsmarkt zugleich mit der Warenverkehrsfreiheit kollidieren würde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Ålands Vindkraft-Entscheidung vom 1. 7. 2014 (Rs. C-573/12). Dort hat der EuGH zwar eine Beschränkung der Förderung erneuerbarer Energien auf Anlagen im Inland für zulässig erachtet. Den Hintergrund bildete aber die grundsätzlich fehlende Anrechenbarkeit von im EU-Ausland erzeugtem Ökostrom auf die verbindlichen nationalen Gesamtziele der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Hierzu fehlt vorliegend jede Parallele. Eine kategorische Beschränkung des Kapazitätsmarktes auf inländische Erzeuger würde vor diesem Hintergrund gegen Art. 34 AEUV verstoßen. Sie ließe sich insbesondere nicht mit dem Risiko von Engpässen beim grenzüberschreitenden Stromhandel  begründen. Insoweit ist vielmehr nach Wegen zu suchen, eine Einbeziehung der vorhandenen Interkonnektorenkapazität technisch und vertraglich zu ermöglichen. Ein Ansatzpunkt hierfür könnte in der Beteiligung der Betreiber von Verbindungsleitungen am Auktionsverfahren bestehen, wie sie aktuell in Großbritannien diskutiert wird. Die grundsätzlichen rechtspolitischen Bedenken, wonach die Schaffung eines Kapazitätsmarktes einen weiteren Schritt weg vom Wettbewerbsgedanken und hin zu planwirtschaftlichen Regelungsansätzen darstellt, bleiben hiervon freilich unberührt.

Professor Dr. Markus Ludwigs, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

 

 

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