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Wettbewerb
16.02.2023
Wettbewerb
EuGH-Schlussanträge: Antidumping-Klage: GAin Medina schlägt dem Gerichtshof vor, die Klagebefugnis der China Chamber of Commerce als eines repräsentativen Verbands anzuerkennen

GAin Medina, Schlussanträge vom 16. 2. 2023 – Rs. C-478/21 P; China Chamber of Commerce for Import and Export of Machinery and Electronic Products u. a. gegen Europäische Kommission; ECLI:EU:C:2023:117. PM Nr. 35 v. 16.2.2023:

Die China Chamber of Commerce erfülle die Kriterien für einen repräsentativen Verband nach der Grundverordnung und damit nach Art. 263 Abs. 4 AEUV

Die China Chamber of Commerce for Import and Export of Machinery and Electronic Products (CCCME) ist ein Verband chinesischen Rechts, zu dessen Mitgliedern chinesische ausführende Hersteller bestimmter Waren aus Gusseisen (Schachtabdeckungen) gehören. 2018 hatte die CCCME beim Gericht erfolglos gegen eine Verordnung der Kommission[1] zur Einführung eines Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Waren aus Gusseisen mit Ursprung in der Volksrepublik China (VRC) geklagt. Mit dem vorliegenden Rechtsmittel beantragt die CCCME, das Urteil des Gerichts vom Mai 2021[2] aufzuheben.

Die Kommission und eine Reihe von europäischen Unternehmen, die auf dem Markt für Gusseisenwaren tätig sind (Streithelfer), beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen. Im Einzelnen machen die Kommission und die Streithelfer geltend, dass die CCCME kein die ausführenden Hersteller der VRC vertretender Verband sein könne, da sie der Aufsicht der betreffenden Ministerien der VRC unterliege, die auch ihre Verwaltung und ihre Geschäftstätigkeit bestimmten. Nach Ansicht der Streithelfer nimmt die CCCME nicht nur Weisungen des Staates entgegen, sondern handelt für den Staat, was die Organisation der Handelstätigkeiten der ausführenden Hersteller angeht.

In den Schlussanträgen vom heutigen Tag prüft Generalanwältin Laila Medina insbesondere die Fragen, die hinsichtlich der Klagebefugnis der CCCME nach Art. 263 AEUV aufgeworfen wurden. Sie untersucht auch die Verfahrensvorschriften, die die Unterrichtungspflichten der Kommission im Antidumping-Verwaltungsverfahren regeln.

Generalanwältin Medina prüft zunächst die Unzulässigkeitseinreden. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass die rechtliche Einordnung der CCCME als interessierte Partei nicht als gegeben angesehen werden könne.

Es sei Sache des Gerichts, festzustellen, welche Rechtsstellung und gegebenenfalls welche Verfahrensrechte die Kommission der CCCME nach der Grundverordnung hätte einräumen müssen. Nach Ansicht der Generalanwältin hat das Gericht zu Unrecht entschieden, dass die CCCME individuell betroffen sei, weil die Kommission ihr im Antidumpingverfahren Verfahrensrechte eingeräumt habe, ohne zu prüfen, ob die Einräumung dieser Rechte im Einklang mit der Grundverordnung gestanden habe.[3] Auch wenn die Kommission die CCCME im Verwaltungsverfahren als interessierte Partei anerkannt habe, stellten diese Anerkennung und die Einräumung von Verfahrensrechten eine Verwaltungspraxis dar, die die Unionsgerichte bei ihrer im Rahmen des Verfahrens über eine Nichtigkeitsklage zu treffenden Feststellung nicht binde. Die Generalanwältin prüft daher die Einstufung der CCCME im Einzelnen.

Die Kommission und die Streithelfer machen geltend, dass der Begriff „Verband“ im Sinne der gemeinsamen Rechtstradition der EU-Mitgliedstaaten dahin zu verstehen sei, dass er Einrichtungen erfasse, die auf demokratische Weise gegründet seien und handelten und von der Regierung unabhängig seien. Nach Auffassung der Generalanwältin umfasst der Begriff „repräsentativer Verband“ nach der Grundverordnung nicht nur den Begriff der Vereinigungsfreiheit, sondern auch den des Wirtschafts- oder Geschäftsverbands im Sinne des internationalen Handelsrechts. Eine Einrichtung könne daher auch dann ihre Mitglieder im Sinne der Grundverordnung und des internationalen Handelsrechts vertreten, wenn die Vereinigungsfreiheit nicht gelte. Die Vereinigungsfreiheit könne nicht dazu genutzt werden, um die Rechte einer Einrichtung zu beschränken, die angibt, Unternehmen oder einen Wirtschaftszweig zu vertreten.

Generalanwältin Medina stellt fest, dass die CCCME nach ihrer Satzung zum Zweck habe, bestimmte Gusseisenausführer der VRC zu vertreten.

Zur staatlichen Einflussnahme führt die Generalanwältin aus, dass sich aus der Satzung der CCCME zwar ergebe, dass der chinesische Staat offenbar eine gewisse Kontrolle über diese Einrichtung ausübe, dass dies aber nicht für den Nachweis ausreiche, dass der Staat auf eine Art und Weise Kontrolle ausübe, die ausschließe, dass die CCCME die Interessen der Ausführer vertrete, oder bedeute, dass die CCCME dem Staat zuzurechnen sei. Im Antidumpingverfahren nach der Grundverordnung müsse nachgewiesen werden, dass sich die vom Staat ausgeübte Kontrolle spezifisch auf die Entscheidungen beziehe, die von diesem Verband in dem konkreten Verfahren getroffen würden.

Die Generalanwältin vertritt daher die Auffassung, dass die CCCME unabhängig von der geltend gemachten Einflussnahme der VRC die Kriterien für einen repräsentativen Verband im Sinne der Grundverordnung erfülle. Daher sollte sie wegen der Missachtung ihrer Verfahrensrechte als im Sinne von Art. 263 AEUV individuell betroffen angesehen werden.

Nach Ansicht der Kommission steht eine Auslegung, nach der ein Wirtschaftsverband Teil eines Staates sei und gleichzeitig die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder gegen diesen Staat schütze, nicht im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien der repräsentativen Demokratie. Hierzu führt Generalanwältin Medina aus, dass eine behauptete Verbindung zum Staat nicht ausreiche, um festzustellen, dass die CCCME Teil des Staates sei oder dass sie nicht demokratisch organisiert sei. Die dem Gericht vorgelegten Beweise reichten nicht aus, um nachzuweisen, dass die Entscheidung, Klage zu erheben, ohne Zustimmung der Mitglieder auf Betreiben der Regierung ergangen sei. Die Generalanwältin schlägt dem Gerichtshof daher vor, die auf das Vorbringen, die CCCME vertrete in Gerichtsverfahren nicht ihre Mitglieder, gestützte Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen.

Was die Unterrichtungspflichten der Kommission betrifft, so erhielt die CCCME im Antidumpingverfahren die Gesamtzahlen für die mikroökonomischen und die makroökonomischen Indikatoren. Sie macht jedoch geltend, dass die Kommission ihr die diesen Indikatoren zugrunde liegenden Berechnungen, die die Ermittlung der Schädigung der Union ermöglicht hätten, in zusammengefasster Form hätte übermitteln müssen.

Insoweit stellt Generalanwältin Medina fest, dass die Entscheidung, die vertrauliche Behandlung von Daten zu gewähren, einen Ausgleich zwischen dem Schutz der Daten der Unionshersteller (die das Verfahren einleiteten und deren Beschwerde die Grundlage der Untersuchung bilde) und dem Recht der ausführenden Hersteller des Drittstaats und ihrer repräsentativen Verbände auf Zugang zu Informationen erfordere.

Im Hinblick auf diesen Ausgleich sei davon auszugehen, dass die Vorlage von Gesamtzahlen nicht zwangsläufig die Verteidigungsrechte der CCCME verletze. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, dass die Mitarbeit der Hersteller in Drittstaaten oder der Unionshersteller die Grundlage der Antidumpinguntersuchung bilde. Daher sollte makroökonomischen Daten, wenn sie auf den Schätzungen von Unionsherstellern und ihrer Marktkenntnis von dem Unionswirtschaftszweig beruhten, vertrauliche Behandlung gewährt werden.



[1] Durchführungsverordnung (EU) 2018/140 der Kommission vom 29. 1. 2018 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Waren aus Gusseisen mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur Einstellung der Untersuchung betreffend die Einfuhren bestimmter Waren aus Gusseisen mit Ursprung in Indien (ABl. 2018 L 25, S. 6).

[2] Urteil vom 19. 5. 2021, Rs. T-254/18, China Chamber of Commerce for Import and Export of Machinery and Electronic Products u. a./Kommission.

[3] VO (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (ABl. 2016, L 176, S. 21).

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