Dipl.-Jur. Robert Böttner: 10. Speyerer Kartellrechtsforum
Am 23. und 24. 4. 2018 fand das nunmehr zehnte Speyerer Kartellrechtsforum an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer statt. Die Tagung stand unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Dr. Wolfgang Weiß. Den über 80 Teilnehmern aus der Wissenschaft, der öffentlichen Verwaltung, der Gerichtsbarkeit, Unternehmen und der Anwaltschaft bot sich auf dem anderthalbtägigen Expertenforum die Möglichkeit, sich über grundlegende und aktuelle Fragestellungen des deutschen und europäischen Kartellrechts zu informieren und zusammen mit den Referenten zu erörtern.
EU-Kartellverfahren und Verteidigungsrechte
In seinem Eröffnungsvortrag über EU-Kartellverfahren und Verteidigungsrechte gab Dr. René Grafunder (Dentons Europe LLP, Berlin) zunächst einen Überblick über das EU-Kartellverfahren und dessen Spezifika. Dazu gehöre, dass die Kommission Ankläger und „Richter“ zugleich sei, weshalb besonders strenge rechtsstaatliche Anforderungen zu stellen seien. Zu messen sei das Kommissionshandeln an den Verfahrensgarantien der primärrechtlich verbindlichen Grundrechtecharta. Sodann führte Grafunder durch den Ablauf des Kartellverfahrens (Ermittlungsphase, kontradiktorische Phase und Abschluss des Verfahrens), wobei er auf die jeweils einschlägigen Verteidigungsrechte einging. In diesem Zusammenhang erläuterte er auch drei neuere Entscheidungen des EuGH: Rs. C-583/13 P, Deutsche Bahn, ECLI:EU:C:2015:404; Rs. C-247/14 P u.a., HeidelbergCement und andere Zementkartellverfahren, C:2016:149 u.a. sowie EuGH Rs. C-413/14 P, Intel,C:2017:632.
Kartellrecht und Krankenhäuser
Im Anschluss referierte Dr. Christian Burholt, LL.M. (Baker & McKenzie, Berlin) zum Thema Kartellrecht und Krankenhäuser. Einleitend führte er aus, dass Zusammenschlüsse und Kooperationen im Krankenhaussektor aufgrund eines erheblichen Investitions(nachhol)bedarfs und Konsolidierungsdrucks weiterhin im Fokus der Politik und des Bundeskartellamts stünden. Dementsprechend gebe es zahlreiche Fusionskontrollfälle im Krankenhaussektor. Zudem werde aktuell eine Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt durchgeführt. Danach wandte sich Burholt den wichtigsten Punkten der Fusionskontrolle zu, unter anderem dem neu eingeführten § 35 Abs. 1a GWB zur Transaktionsschwelle. Schwierig, so der Referent, sei bei Krankenhäusern die Abgrenzung des relevanten Marktes. Abschließend untersuchte er Krankenhauskooperationen mit Blick auf das Kartellverbot.
Die Errichtung des ECN plus (ECN+)
Die Errichtung des ECN plus (ECN+) war Gegenstand des Referats von Dr. Johannes Holzwarth (Europäische Kommission, Brüssel). Einführend ging er auf die wichtige Rolle der nationalen Wettbewerbsbehörden ein, die seit 2004 gemäß der VO 1/2003 zusammen mit der Kommission das EU-Wettbewerbsrecht durchsetzen und zu diesem Zweck im Europäischen Wettbewerbsnetz (European Competition Network – ECN) zusammenarbeiten. Mehr als 85 % der Entscheidungen werden durch die nationalen Wettbewerbsbehörden getroffen. Zehn Jahre danach legte die Kommission nach Evaluierung der VO 1/2003 konkrete Verbesserungsvorschläge vor (z.B. größere Unabhängigkeit und bessere Ausstattung der nationalen Wettbewerbsbehörden, Verbesserung von Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen, wirksamere Geldbußen, effektivere Kronzeugenregelungen). Der Richtlinienvorschlag zum ECN+ soll dazu Mittel und Instrumente für die wirksame Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts zur Verfügung stellen und Mindestgarantien sicherstellen. Abschließend skizzierte der Referent, wie bestimmten, bei einigen nationalen Wettbewerbsbehörden bestehenden Problemen rechtlicher und tatsächlicher Natur im Richtlinienentwurf begegnet werden soll. Der Erlass der Richtlinie sei für das Frühjahr 2019 geplant.
Aktuelle Luxemburger Rechtsprechung zum Kartellrecht
Der erste Veranstaltungstag schloss mit dem alljährlichen Referat zu aktueller Luxemburger Rechtsprechung, das in diesem Jahr von Prof. Dr. Daniel Dittert (Gerichtshof der Europäischen Union, Luxemburg) verantwortet wurde. Dieser begann mit neuen Urteilen in der Missbrauchsaufsicht (Art. 102 AEUV) und ging dabei zunächst auf die Entscheidung in der Rechtssache Intel/Kommission (EuGH Rs. C-413/14 P, C:2017:632) ein. Hier entschied der EuGH, dass es keine unwiderlegliche Vermutung der Wettbewerbswidrigkeit von Treuerabatten mehr gebe, sondern bei belastbaren Einwendungen des beschuldigten Unternehmens im Einzelfall wettbewerbsbeschränkende Wirkungen geprüft werden müssten. In MEO (EuGH Rs. C-525/16, C:2018:270) entschied der Gerichtshof, dass auch Preisdiskriminierung durch marktbeherrschende Unternehmen nicht per se kartellrechtswidrig sei. Sodann widmete sich der Referent Urteilen im Bereich des Kartellverbots (Art. 101 AEUV). In der Rechtssache Coty Germany (EuGH Rs. C-230/16, C:2017:941) urteilte der EuGH, dass das Verbot des Verkaufs über Drittplattformen im Internet im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems nicht von vornherein kartellrechtswidrig sei und zum Schutz des Luxusimage eines Markenprodukts gerechtfertigt sein könne. Schließlich besprach Dittert noch das Urteil Austria Asphalt (EuGH Rs. C-248/16, C:2017:643), in dem der EuGH die Anwendbarkeit der Fusionskontrolle für ein Gemeinschaftsunternehmen („joint venture“) verneinte, dem nach einem Wechsel der Art der Kontrolle die Vollfunktionseigenschaft fehlt, sowie das Urteil Gasorba (EuGH Rs. C-547/16, C:2017:891), in dem es um die Bindungswirkung von Verpflichtungsentscheidungen der Kommission ging.
Digitalisierung und Kartellrecht
Der zweite Veranstaltungstag wurde mit dem Panel „Digitalisierung und Kartellrecht“ eröffnet. Zunächst referierte Prof. Dr. Boris P. Paal (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) zum Thema Daten und Kartellrecht, wobei er die Zuhörer zu Beginn in einige Definitionen und den Rechtsrahmen des Themas einführte. Dazu ging er auch auf Wesensmerkmale der Digitalwirtschaft ein und charakterisierte Daten als Wirtschaftsgüter, die durch Nicht-Exklusivität, Nicht-Rivalität und einen gewissen Wert gekennzeichnet seien. Sodann warf er wesentliche Fragen auf, etwa nach dem Verhältnis von Datenschutz- und Kartellrecht, der Marktabgrenzung beim Wettbewerb um und mit Daten und zum Problem eines potentiellen Marktmissbrauchs. Im zweiten Teil verwies er auf Handlungsbedarfe und Regulierungsoptionen, etwa eine Reform des Daten(schutz)rechts. Im Ergebnis, so der Referent, biete das Kartellrecht aktuell (noch) ein belastbares Instrumentarium, sei allerdings kein „Allheilmittel“. Zudem bedürfe es eines Zusammenspiels von Kartell-, Daten(schutz)- und Vertragsrecht, insbesondere in Ansehung von Daten als Entgelt bzw. Gegenleistung.
Anschließend erläuterte Prof. Dr. Rupprecht Podszun (Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf) in seinem Vortrag „Innovationen und Kartellrecht der digitalen Ökonomie“ einige grundlegende Konzepte der Innovationsökonomik, einschließlich der Theorien um die Wechselwirkungen zwischen Innovation und Wettbewerb. Er skizzierte sodann innovationsbezogene Schadenstheorien, wie sie sich in der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts und der Kommission zeigen, und erläuterte dabei insbesondere die Entscheidung in Dow/Dupont (M.7932). Im Bereich der kartellrechtlichen Fragen von digitalen Märkten und Innovation sprach er unter anderem über die Abschottung der großen Datenfirmen (sog. „MAGAF“) zu eigenen Ökosystemen. Das Problem sei, so der Referent, dass diese durch Innovation allein nicht mehr angreifbar seien, das Kartellrecht aber mit dieser Situation überfordert sei.
Das dritte Referat des Panels, vorgestellt von Prof. Dr. Petra Pohlmann (Westfälische Wilhelms-Universität, Münster), befasste sich mit Kartelldelikten durch Algorithmen. Kartellverstöße von Algorithmen seien, so die Referentin, zunächst bloße algorithmische Umsetzungen einer vorher getroffenen Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV, entweder direkt zwischen Wettbewerbern, über eine Plattform oder mittels Preisbindung zweiter Hand. Daneben gebe es aber auch die (denkbare) Vereinbarung oder Abstimmung im Sinne von Art. 101 AEUV mittels Algorithmus, die also erst durch Algorithmen selbst zustande kämen. Hier schlössen sich aber eine Reihe von Folgefragen an, etwa worin genau die Vereinbarung bzw. Abstimmung liege und wie die Frage nach einem Verschulden zu beantworten sei. Schließlich sprach die Referentin das Phänomen einer stillschweigenden Übereinkunft („tacit collusion“) als Folge von Algorithmen an. Sie kam zu dem Schluss, dass das kartellrechtliche Instrumentarium derzeit zwar noch ausreichend sei, im Bereich von Algorithmen im Kartellrecht aber ein weiterer (interdisziplinärer) Forschungsbedarf bestünde.
Den drei Vorträgen schloss sich eine äußerst umfassende Diskussion an. Zunächst reagierte der als Diskutant zu diesem Zweck eingeladene Sandro Gleave (Bundeskartellamt, Bonn) auf die Ausführungen der Referenten und reicherte diese um eigene Gedanken an. Danach wurde die Diskussion für die Tagungsteilnehmer geöffnet, die mit zahlreichen Nachfragen und Kommentaren aufwarteten. Insgesamt entstand so ein äußerst reger und gewinnbringender Austausch zwischen Vertretern der Anwaltschaft, der Wissenschaft und der Kartellbehörden.
Sportvermarktung und Kartellrecht
Dem Panel schloss sich ein Vortrag zu Sportvermarktung und Kartellrecht von Prof. Dr. Peter W. Heermann (Universität Bayreuth) an. Um die Perspektiven für die künftige Vermarktung der Medienrechte an der Fußball-Bundesliga darzustellen, war es zunächst notwendig, einige Vorfragen zu erörtern. Für die kartellrechtliche Bewertung sei es nämlich nötig, so der Referent, zu klären, wer denn überhaupt Inhaber der Übertragungsrechte sei, was mitnichten offenkundig sei. Daran schließe sich die Abgrenzung des relevanten Marktes an, die aufgrund der Zuschauerpräferenzen und der möglichen Übertragungswege auch mit Schwierigkeiten behaftet sei. Sie hänge nämlich auch davon ab, welche Endkundengruppen man identifiziere. Sodann unterzog er das System der Zentralvermarktung der Übertragungsrechte an der Fußball-Bundesliga auf dem Rechtemarkt einer kartellrechtlichen Überprüfung, auch unter dem Aspekt der Rechtmäßigkeit, sofern sämtliche damit einhergehenden Wettbewerbsbeschränkungen durch die Erfüllung der in Art. 101 Abs. 3 AEUV aufgelisteten Tatbestandsvoraussetzungen (mindestens) aufgewogen werden.
Wettbewerbspolitik nach der E-Commerce-Sektoruntersuchung
Dr. Thomas Kramler (Europäische Kommission, Brüssel) referierte zur Wettbewerbspolitik nach der E-Commerce-Sektoruntersuchung. Diese müsse im Zusammenhang mit der Strategie für den digitalen Binnenmarkt gesehen werden, die die Kommission zu einer ihrer politischen Prioritäten erklärt habe. Dadurch soll ein besserer Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu digitalen Gütern und Dienstleistungen innerhalb Europas geschaffen werden. Die Sektoruntersuchung diente dazu, die durch Unternehmen bewirkten Hindernisse zu identifizieren. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass der verstärkte Online-Handel zu erhöhter Preistransparenz, Preiswettbewerb und Preisbeobachtungen führt, was sich auf die Vertriebsstrategien der Hersteller auswirkt (z.B. Wunsch, den Vertrieb strikter zu kontrollieren, zunehmender Selektivvertrieb, zunehmende vertikale Beschränkungen). Insbesondere der rechtliche Rahmen für den selektiven Vertrieb wurde intensiv besprochen. Als Schlussfolgerungen aus der Sektoruntersuchung formulierte der Referent unter anderem, dass kein Erfordernis bestehe, den rechtlichen Rahmen für Vertikalvereinbarungen vorzeitig (d.h. vor der nächsten Evaluierung) zu überarbeiten. Zudem werde die Kommission den Dialog mit den nationalen Behörden erweitern, um zu einer einheitlichen Anwendung der Wettbewerbsregeln im Bereich E-Commerce beizutragen.
Befugnisse und Praxis des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz
Im letzten Referat berichtete Prof. Dr. Carsten Becker (Bundeskartellamt, Bonn) über Befugnisse und Praxis des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz. Er skizzierte die Entstehungsgeschichte der neuen Verbraucherschutzinstrumente durch die 9. GWB-Novelle. Dazu zählen beratende und analysierende Instrumente (z.B. Sektoruntersuchungen, § 32e Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 GWB) – nicht jedoch Eingriffsbefugnisse und Bebußung materieller Verstöße – sowie weitere Ermittlungsmöglichkeiten (z.B. „Bordmittel“ und informelle Befragung, § 57 Abs. 1, § 32e Abs. 4, Abs. 5 Satz 3 GWB). Die Rolle des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz sei allerdings nur komplementär zur bewährten privaten und verbandsseitigen Rechtsdurchsetzung. Der Fokus liege daher auf der Verzahnung mit den traditionellen Akteuren (Verbände wie Verbraucher- und Wettbewerbszentralen, Bundes- und Landesbehörden mit Rechtsdurchsetzungsbefugnissen, Praktikern, Wissenschaft). Dieses Leitmotiv und die Ressourcenausstattung erlaubten nur wenige Leuchtturmverfahren, die sich auch nach den aktuellen Diskussionen im Verbraucherschutz richten. Der Referent berichtete im Überblick auch über die aktuellen Sektoruntersuchungen zu Vergleichs- und Bestellportalen und zu sogenannten Smart-TVs. Sein Fazit lautet kurz und knapp: Verbraucherschutz und Bundeskartellamt passen gut zusammen.
Zum Abschluss des Forums fasste Professor Dr. Wolfgang Weiß die Themen und wesentlichen Punkte des Kartellrechtsforums in seinem Resümee zusammen. Die Tagung bot einen gelungenen Überblick über die aktuellen Fragen und Probleme des europäischen und nationalen Kartellrechts und deutete bereits an, welche Aspekte in Zukunft an Relevanz gewinnen werden. Damit sind zugleich einige Themen für das 11. Speyerer Kartellrechtsforum vorgezeichnet, das am 25./26. 3. 2019 stattfindet.
Dipl.-Jur. Robert Böttner, B.A., LL.M. ist Wiss. Mitarbeiter von Professor Dr. Wolfgang Weiß am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Europa- und Völkerrecht, an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.