Dipl.-Jur. Robert Böttner: Aktuelle Fragen des Europäischen Beihilferechts – 10. Speyerer Europarechtstage
Am 24. und 25. 9. 2018 fanden zum nunmehr zehnten Mal an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer die Speyerer Europarechtstage statt. Die Tagung, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Herrn Professor Dr. Wolfgang Weiß steht, führt Referenten und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis zusammen, um über aktuelle Frage des Europäischen Beihilferechts zu diskutieren. Auf der Agenda stand auch in diesem Jahr wieder ein breit gefächertes Themenspektrum, etwa die Förderung erneuerbarer Energien und Elektromobilität, infrastrukturelle Großvorhaben, die Nutzung von Fördermitteln oder Fragen der Rekommunalisierung, jeweils im Spannungsfeld zu den beihilferechtlichen Regeln der nationalen und europäischen Ebene.
I. Aktuelle Rechtsprechung aus Luxemburg
Als erster Redner eröffnete Dr. Hanns Peter Nehl (Gericht der Europäischen Union, Luxemburg) das Tagungsprogramm mit dem mittlerweile traditionellen Vortrag zur aktuellen Rechtsprechung der europäischen Gerichte zum Beihilferecht. Zunächst gab er den Teilnehmern einen Überblick über die Aufgabenverteilung bei der Durchführung und gerichtlichen Kontrolle des EU-Beihilferechts. Im Rahmen der Unterscheidung zwischen zentraler (durch den Gerichtshof der EU) und dezentraler (durch mitgliedstaatliche Gerichte) Kontrolle der Anwendung des Beihilferechts verwies er auf das Urteil in der Rs. Georgsmarienhütte (Rs. C-135/16, ECLI:EU:C:2018:582, RIW 2018, 602), das neue Erkenntnisse zur Präklusion, also der Unzulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen, brachte. Anschließend diskutierte er eine Reihe von Entscheidungen mit Relevanz für den Beihilfe- und Vorteilsbegriff. Dazu zählen Urteile zur Selektivität (etwa Andres Hetkamp BauHolding/Kommission, Rs. C-203/16 P, ECLI:EU:C:2018:505) und zum sog. Privatinvestor-Test (insb. Kommission/FIH Holding, Rs. C-579/16 P, ECLI:EU:C:2018:159; SNCF Mobilités/Kommission, Rs. C-127/16 P, ECLI:EU:C:2018:165; Frucona II, Rs. C-300/16 P, ECLI:EU:C:2017:706; SACE und Sace BT/Kommission, Rs. C-472/15 P, ECLI:EU:C:2017:885). Abschließend referierte er zu einer Reihe von Entscheidungen, die neue Aussagen zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, genauer zum Verhältnis der sog. Altmark-Kriterien zueinander und zu Art. 106 Abs. 2 AEUV, enthielten. Besonders das Urteil in der Rs. Comunidad Autónoma del País Vasco (Rs. C-66/1 P und C-69/16 P, ECLI:EU:C:2017:999) hob er dabei hervor.
II. Die Beihilfenreform – Stand der Umsetzung und nächste Schritte
Barbara Brandtner (Europäische Kommission, Brüssel) rekapitulierte in ihrer Einführung zum Stand der Umsetzung der Beihilfenreform und den nächsten Schritten die Ziele der „State Aid Modernisation“ (SAM) vor, die unter anderem die Unterstützung der Wachstumsstrategie Europa 2020 beinhaltet. Die Verringerung der Kommissionskontrolle solle dabei helfen, sich auf große Fälle mit besonders starker Auswirkung auf den Binnenmarkt zu konzentrieren (big on big, small on small). Sodann präsentierte sie Zahlen, die den Erfolg der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) belegten. Rund 95 % aller neuen Fälle, so die Referentin, fallen mittlerweile unter die AGVO und ca. 46 % der Gesamtausgaben haben die Mitliedstaaten für AGVO-Maßnahmen verwendet, davon etwa die Hälfte für Umwelt und Energieeffizienz. Hohe Zuwächse von AGVO-Ausgaben seien auch in den Bereichen Kultur und lokale Infrastrukturen/Breitband zu verzeichnen. Sie berichtete weiter, dass in über 40 % der angemeldeten Fälle die Diskussion zwischen Mitgliedstaat und Kommission zu wesentlichen Verbesserungen der Beihilfe-Maßnahmen geführt hätten. Abschließend widmete sich die Referentin ausführlich dem neuen Verhaltenskodex (Best Practices Code) vom Juli dieses Jahres, der eine ganze Reihe neuer Elemente enthält, etwa ein gestrafftes Verfahren, Sektoruntersuchungen oder eine förmliche Beschwerde.
III. Beihilferecht und infrastrukturelle Großvorhaben
Der ungarische Richter Professor Dr. Zoltán Csehi (Gericht der Europäischen Union, Luxemburg) sprach referierte zu beihilferechtlichen Problemen bei infrastrukturellen Großvorhaben. Zur Analyse nutzte er den Fall HH Ferries (Rs. T-68/15, ECLI:EU:T:2018:563), der die Klage von Fährbetreibern zum Gegenstand hat, die sich gegen die Entscheidung der Kommission wandten, die in der öffentlichen Finanzierung und dem Betrieb durch ein Konsortium der festen Straßen- und Bahnverbindung über den Øresund und die Verbindung mit dem jeweiligen Hinterland keine staatlichen Beihilfen sah. Nach einer kurzen Einführung in die Hintergründe des Rechtsstreits widmete sich der Referent den beihilferechtlichen Problemen bei grenzüberschreitenden Großprojekten. Dazu gehöre etwa die Einstufung von Steuervergünstigungen als staatliche Beihilfen, die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen neuen und bestehenden Beihilfen sowie die Einordnung als einzelne beihilferelevante Maßnahme oder als Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Auch werfe die Vereinbarkeit der dem Konsortium im vorliegenden Fall gewährten staatlichen Garantien eine Reihe von Fragen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt auf.
IV. Energiewende und Beihilferecht
Das letzte Thema des ersten Veranstaltungstages verantwortete Dr. Markus Kahles (Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg) mit einem Referat zu Energiewende und Beihilferecht, insbesondere zur Förderung erneuerbarer Energien und Elektromobilität. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das Problem, dass die Ziele der Energiewende nicht von allein erreicht würden, sondern hier ein Fall von Marktversagen vorliege, weshalb der Staat finanzielle Anreize für umwelt- und klimaverträgliches Verhalten der Marktakteure im Energiesektor setzen müsse. Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Förderung würden dabei wesentlich durch das Beihilferecht bestimmt, namentlich durch die Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien, die der Referent nachfolgend vorstellte. Sodann untersuchte er, inwieweit die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien und die Elektromobilität beihilferelevant seien. Zum Schluss warf er die Frage auf, ob die Verknüpfung von Energiewende und Beihilferecht eine (unzulässige) energiepolitische Kompetenzausübung seitens der Europäischen Union sei.
V. ESI-Fonds und Beihilferecht
Den zweiten Konferenztag eröffnete Dr. Michael Reckhard (Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen, Offenbach) mit Ausführungen zu ESI-Fonds und Beihilferecht. Dazu stellte er zunächst die WI-Bank als Förderbank des Landes Hessen vor. Er erläuterte kurz die Struktur der Bank und ihre Rolle in der Fördermittelbereitstellung im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds). Sodann diskutierte er die Anwendbarkeit des Beihilferechts auf Förderungen aus den ESI-Fonds. Dabei gehe es, so der Referent, maßgeblich um die Charakterisierung dieser Mittel als staatliche Mittel im Sinne beihilferechtlicher Vorschriften. Aufgrund des überwiegend bestehenden Ermessens der Behörden und Förderbanken bei der Mittelvergabe sei dies zu bejahen. Seinen Vortrag rundete der Referent durch Erfahrungen aus der Praxis ab, u.a. zum bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Beihilferecht und Förderpolitik, zu Anwendungsschwierigkeiten der Vorschriften aufgrund unklarer Begriffe und teils widersprüchlicher Regeln sowie zur Komplexität des zu beachtenden Regelwerkes.
VI. Innovationsförderung und Marktnähe
Gernot Unseld (Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart), der Im Anschluss zum Thema Innovationsförderung und Marktnähe zu Maßnahmen zwischen AEUV, AGVO und FuEuI-Unionsrahmen referierte, machte zunächst einige grundsätzliche Ausführungen zur Innovationsförderung in Baden-Württemberg, also zur Innovationsstrategie und den Schwerpunkten der Förderung. Zudem stellte er die Verbundforschung in der sog. „Innovationsallianz Baden-Württemberg“ vor. Nachfolgend widmete er sich beihilferechtlichen Problemen bei der Anwendung aktueller Fördertatbestände. . Diese könnten etwa bei der Förderung von Forschungsinfrastruktur entstehen, wenn aus der dieser Technologien hervorgingen, die nach Erreichen des entsprechenden technologischen Reifegrades vermarktet werden können. Hier sei auf die kostenmäßige Trennung von wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit zu achten. Als weitere problematische Fälle derzeitiger Fördermaßnahmen diskutierte der Referent die Förderung von Innovationsclustern, von Intermediären des Technologietransfers (sog. Technologietransfermanager) und von Verbundforschung ohne Unternehmensförderung.
VII. EFRE-Gründer-/Wagniskapital
Im Team widmeten sich Karen Ferdinand und Dr. Carsten Jennert (KPMG, Frankfurt/Main) möglichen beihilferechtlichen Schwierigkeiten bei (EFRE-)Wagniskapital-Beteiligungsfonds. Dabei gehe es im Kern um den Privatinvestor-Test bei der Beteiligung an Start-up-Unternehmen. Für die rechtliche Seite skizzierte Dr. Carsten Jennert zunächst die praktische Bedeutung und den rechtlichen Rahmen für Wagniskapital-Mittel. (EFRE-)Wagniskapital-Beteiligungsfonds bewegten sich dabei im Schnittfeld zwischen Fördermittelrecht und Beihilferecht. Sodann erläuterte er die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten auf den einzelnen Ebenen zwischen der EU-Kommission bzw. den nationalen EFRE-Verwaltungsbehörden und den letztlich endbegünstigten Start-ups (Förderbank, Fondsmanager, eigentliche Beteiligung). Dabei wies er darauf hin, dass ein Beihilfeverstoß grundsätzlich auf allen Ebenen möglich sei. Dies berge die Gefahr einer Infizierung anderer Ebenen und könne letztlich sogar zu einer (nachträglichen) Haushaltslücke führen, wenn Mittel wegen Unregelmäßigkeiten von der Kommission zurückgefordert würden, ein Durchgriff auf das begünstigte Zielunternehmen aber nicht mehr möglich sei. Der Privatinvestor-Test komme schließlich auf der unteren Ebene, der Beteiligung eines Fonds, zum Tragen. Sehr detailliert und ausführlich erläuterte dann Karen Ferdinand aus kaufmännischer Sicht, wie ein solcher Test tatsächlich durchgeführt würde.
VIII. EU-Finanzrahmen und Beihilferecht
Im Anschluss referierte Karl Soukup (Europäische Kommission, Brüssel) über beihilferechtliche Fragen in Zusammenhang mit dem EU-Finanzrahmen. Zwar sei, so der Referent, der mehrjährige Finanzrahmen generell gesehen nicht unmittelbar relevant für die Beihilfepolitik. Der Finanzrahmen sei aber ein Gesamtpaket vieler Instrumente, auch Finanzierungsprogramme, die ihrerseits doch beihilferelevant werden könnten. Diebezüglich erläuterte er zunächst noch einmal die Unterscheidung zwischen zentral verwalteten Mitteln und Mitteln unter geteilter Verwaltung und deren jeweilige Beihilferelevanz. Aus diesen Überlegungen heraus skizzierte er die Anpassungen im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens, die derzeit in Vorbereitung seien bzw. diskutiert würden. Dazu gehörten Finanzierungsinstrumente unter InvestEU, Änderungen im Bereich FuEuI (Exzellenzsiegel, „Co-Funds“) sowie Ausweitungen der AGVO im Bereich der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit (ETZ).
IX. Rekommunalisierung und Beihilferecht
Mit einer Fallstudie widmete sich Dr. Stefan Gesterkamp (Baumeister Rechtsanwälte, Münster) dem Thema Rekommunalisierung und Beihilferecht. Als Praxisfall wählte er die in den 1990er Jahren häufig vorkommende Privatisierung von Aufgaben in der Wasserver- und -entsorgung und deren Rückgängigmachung in den vergangenen Jahren mit dem Ziel, dass diese öffentlichen Aufgaben nunmehr (wieder) durch staatliche Stellen erbracht werden. Nicht selten bediene man sich dabei des Betreibens durch (privatrechtlich organisierte) Unternehmen. Beihilferechtliche stellen sich dabei die Fragen, ob eine Begünstigung der betriebsführenden Unternehmen durch marktunübliche Leistungsentgelte oder ein Beteiligungserwerb ohne marktübliche Gegenleistungen vorliege. Nach einer sehr detaillierten Analyse besprach der Referent noch einige vergabe- und kartellrechtliche Problemkonstellationen, die in solchen Fällen auftreten könnten.
X. Beihilferecht und Steuerrecht
Das letzte Referat der Tagung verantwortete Professor Dr. Roland Ismer (Universität Erlangen-Nürnberg) mit einer Präsentation zum Verhältnis von Beihilferecht und Steuerrecht. Ausgangspunkt sei die wachsende Bedeutung der Beihilfenkontrolle für Steuersachen in den letzten Jahren. Dabei entstehe aber ein Konflikt zwischen mitgliedstaatlicher Steuersouveränität und den Zielen der Beihilfekontrolle. Kernproblem im Steuerrecht, so der Referent, sei die Selektivität („… durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige …“, Art.l 107 Abs. 1 AEUV). Inwiefern diese in den letzten Jahren in (möglicherweise expansiver) Entwicklung begriffen sei erläuterte er sodann detailliert unter Heranziehung der Entscheidungen des EuGH in P Oy (Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, EWS 2013, 335), in Gibraltar (Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732) und in World Duty Free (Rs. C-20/15 P, ECLI:EU:C:2016:981). Anschließend widmete er sich aktuellen Entwicklungen und erörterte dazu die Entscheidung des EuGH in Andres Heitkamp BauHolding (Rs. C-203/16 P, ECLI:EU:C:2018:505, BB 2018, 2079; s.a. EWS 2018, 333), die Schlussanträge von GA Saugmandsgaard Øe in A-Brauerei (Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:741, EWS 2017, 300), die Entscheidung der Kommission in Luxemburg/McDonald’s (SA.38945) und einen Comfort Letter der Kommission zu § 3a EStG.
XI. Resümee und Abschluss
Zum Abschluss des anderthalbtägigen Expertenforums fasste Professor Dr. WolfgangWeiß die Themen und wesentlichen Punkte der Beihilfetagung in seinem Resümee zusammen. Die Tagung bot einen gelungenen Überblick über die aktuellen Fragen und Probleme des europäischen Beihilferechts und ließ Raum für teils intensiv geführte Diskussionen, deren Ergebnisse Referenten und Teilnehmern Erkenntnisse für ihren Arbeitsalltag lieferten. Zugleich wurden einige Themen erkennbar, die Gegenstand der 11. Speyerer Europarechtstage werden könnten. die am 23./24. 9. 2019 stattfinden.