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EWS-Standpunkte
10.07.2014
EWS-Standpunkte
Götz Reichert: „Europarechtskonforme Ausländer-Maut“: Versuch einer Quadratur des Kreises

Wer in Deutschland unterwegs ist, weiß, wie notwendig Investitionen in die zunehmend marode Verkehrsinfrastruktur sind. Gute ökonomische Argumente sprechen dafür, nach dem Verursacher- bzw. Nutzerprinzip neben Lkw- auch Pkw-Halter an der Finanzierung des Straßensystems zu beteiligen. Insofern könnte man entsprechende Pläne der Bundesregierung grundsätzlich begrüßen, wären sie nicht mit der Hypothek der Anforderungen des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD belastet (S. 29): „Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung wird EU-rechtskonform erfolgen.“ Sprich: die erhofften Mehreinnahmen durch die Einführung einer Pkw-Vignette sollen allein durch die Halter bzw. Fahrer von im Ausland zugelassenen Pkw erbracht werden, ohne diese jedoch zugleich europarechtswidrig zu benachteiligen.

Wie Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt eine derartige Quadratur des Kreises in Form einer „europarechtskonformen Ausländer-Maut“ vollbringen will, hat er am 7. 7. 2014 bei der Vorstellung eines vierseitigen „Infopapiers zur Pkw-Maut/Infrastrukturabgabe“ dargelegt, das „Eckpunkte“ für die Einführung einer streckenunabhängigen Straßennutzungsabgabe in Form einer Pkw-Vignette für das gesamte deutsche Straßennetz ab dem 1. 1. 2016 enthält. Dobrindts gesetzgebungstechnischer Kniff zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das für die EU grundlegende Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Artikel 18 AEUV besteht in einer Aufspaltung der gesetzgeberischen Maßnahmen in zwei formal voneinander unabhängige Rechtsakte: Die Pkw-Vignette soll durch ein neues Gesetz eingeführt werden, das „die Pflicht zur Zahlung der Infrastrukturabgabe unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Wohnort des Nutzers“ regelt. Zugleich soll die Kfz-Steuer gesenkt werden, wodurch deutsche Pkw-Halter für die Vignettenkosten „vollständig und unbürokratisch kompensiert“ werden. Dabei weist der Minister zutreffend darauf hin, dass die Steuergesetzgebung grundsätzlich Sache der EU-Mitgliedstaaten ist. Seiner Meinung nach sei allein schon aus diesem Grund die Europarechtskonformität seines Vorhabens gegeben.

Es ist evident, dass zwischen der „Vignette für alle“ und der Kfz-Steuersenkung zugunsten deutscher Pkw-Halter ein direkter zeitlicher und materieller Zusammenhang besteht, der auch von Bundesverkehrsminister Dobrindt nicht geleugnet wird. Gegen diese Koppelung spricht jedoch, dass das europarechtliche Diskriminierungsverbot auch nicht indirekt verletzt werden darf. Eine Senkung der Kfz-Steuer führt faktisch zu der – explizit beabsichtigten – alleinigen Belastung ausländischer Pkw-Halter und somit zu deren Diskriminierung gegenüber deutschen Pkw-Haltern. Dieser Verstoß ist auch nicht etwa unter Berufung auf rein wirtschaftliche Erwägungen zu rechtfertigen (vgl. EuGH, Rs. C-388/01, Kommission/Italien, Slg. 2003, I-721, Rn. 19 ff.). Würde man hierüber hinwegsehen, wäre künftigen Umgehungsversuchen der EU-Mitgliedstaaten durch kreative Gesetzgebungskonstruktionen – und damit einer schleichenden Aushöhlung von Art. 18 AEUV – Tür und Tor geöffnet.

Dass der Minister diese europarechtlichen Bedenken durchaus ernst nimmt, zeigt seine Bemerkung, die EU-Kommission habe vor einer „direkten ständigen Beziehung zwischen Maut und Steuern“ gewarnt. Daher solle auch keine „dauerhafte und ständige Verrechnung“ der Vignette mit der Kfz-Steuer erfolgen. Offenbar will der Minister zwar bei der Vignetteneinführung einmalig die Kfz-Steuer senken. Bei künftigen Erhöhungen der Infrastrukturabgabe scheint dies jedoch auch seiner Auffassung nach europarechtlich nicht mehr opportun zu sein, so dass deutsche Pkw-Halter entgegen früheren Wahlkampfversprechen doch über kurz oder lang mehr belastet würden.

Dr. Götz Reichert, LL.M. leitet am Centrum für Europäische Politik in Freiburg den Fachbereich Europäische Energie-, Klima- und Verkehrspolitik

 

 

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