Thomas Kollruss und Julia Delchmann: Game over für die gewerbesteuerliche Erfassung von Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften! Die EuGH-Grundsatzentscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 zur Mutter-Tochter-Richtlinie
Der Autor hat sich bereits in EWS 2/2025, 94 ff. mit dem EuGH-Fall Banca Mediolanum, C-92/24 befasst, und zwar mit dem Vorabentscheidungsersuchen vom 24. 1. 2024. Dieser Beitrag ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der zusätzliche Einbezug von qualifizierten Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften in die Besteuerung mit IRAP auf der Ebene einer italienischen Muttergesellschaft gegen Art. 4 der Mutter-Tochter-Richtlinie (RL 2011/96/EU) verstößt und damit unzulässig ist, da die Dividenden bereits zu 5 % in die Besteuerung mit Körperschaftsteuer bei der italienischen Muttergesellschaft einbezogen wurden und der Ansässigkeitsmitgliedstaat der Muttergesellschaft die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR gewählt hat. Die nun vorliegende EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 vom 1. 8. 2025 bestätigt diese Analyse vollumfänglich. Der EuGH hat zutreffend entschieden, dass Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR einer nationalen Besteuerungsregelung entgegensteht, die dazu führt, dass mehr als 5 % der Schachteldividenden in die Besteuerung der Muttergesellschaft einbezogen werden, auch dann, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist, deren Bemessungsgrundlage aber diese Dividenden oder einen Teil dieser Dividenden umfasst. Bezogen auf das deutsche Steuerrecht dürfte die EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 eine Grundsatzentscheidung sein und die gewerbesteuerliche Erfassung von Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften auf der Ebene einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft ausschließen.
I. EuGH, 1. 8. 2025, C-92/24 bis C-94/24, Banca Mediolanum (Sekundärrecht – MTR)
1. Sachverhalt
In diesem Fall ist eine italienische Mutterkapitalgesellschaft (SpA) gegeben, die an verschiedenen ausländischen EU-Tochterkapitalgesellschaften beteiligt war und von diesen qualifizierte Schachteldividenden im Sinne der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) – RL 2011/96/EU[1] – erhielt.[2] Die Beteiligungsquote der italienischen Muttergesellschaft an den Tochtergesellschaften betrug jeweils mindestens 10 % des Kapitals. Italien hat auf der Ebene der Muttergesellschaft die Befreiungsmethode für Schachteldividenden umgesetzt nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR. Die Anwendungsvoraussetzungen der MTR und ihre Anwendbarkeit sind gegeben.
Bei der italienischen Muttergesellschaft wurden jeweils 5 % der Schachteldividenden aus den EU-Tochtergesellschaften in ihre Besteuerung mit Körperschaftsteuer einbezogen.[3]
Zusätzlich zu dieser Besteuerung mit Körperschaftsteuer wurden die Schachteldividenden bei der italienischen Muttergesellschaft nochmals zu 50 % in die Besteuerung mit IRAP bzw. deren Bemessungsgrundlage einbezogen.[4] Bei der IRAP handelt es sich um eine regionale italienische Wertschöpfungssteuer, die nicht in Anhang I Teil B der Liste der unter Art. 2 lit. a), iii) MTR fallenden Steuern genannt ist.
Die italienische Muttergesellschaft macht geltend, dass der Einbezug der Schachteldividenden in die Besteuerung mit IRAP gegen Art. 4 Abs. 1 und 3 der MTR verstößt; und zwar gegen das dort niedergelegte Verbot, für den Ansässigkeitsmitgliedstaat der EU-Muttergesellschaft bei dort umgesetzter Befreiungsmethode nicht mehr als 5 % der Schachteldividende in die Besteuerung der Muttergesellschaft einbeziehen zu dürfen (Ansatzhöchstbetrag). Demzufolge sei die italienische Besteuerung hinsichtlich des Einbezugs der Schachteldividenden in die Besteuerung mit IRAP unionsrechtswidrig, ein Verstoß gegen das Sekundärrecht in Form der MTR liege vor.
Die italienische Finanzverwaltung ist mit dem Argument entgegengetreten, die MTR würde nur für die Körperschaftsteuer gelten, nicht aber für andere Steuern wie die IRAP.[5] Die IRAP ist nicht in Anhang I Teil B der Liste der unter Art. 2 lit. a), iii) MTR fallenden Steuern genannt, und damit nicht von der MTR erfasst. Demzufolge dürfen die Schachteldividenden auf der Ebene der italienischen Muttergesellschaft zusätzlich mit IRAP besteuert werden, obgleich diese Dividenden bereits zu 5 % in die Besteuerung mit Körperschaftsteuer bei der italienischen Muttergesellschaft einbezogen worden sind, so die italienische Finanzverwaltung.
Der EuGH hat die Auffassung der italienischen Finanzverwaltung, die der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung und des deutschen „Steuergesetzgebers“ ähnlich ist, mit seinem Urteil vom 1. 8. 2025 in der Rechtssache Banca Mediolanum, C-92/24 klar zurückgewiesen.
2. Entscheidung des EuGH in Banca Mediolanum, C-92/24
Unter Berücksichtigung des klaren Wortlauts der maßgeblichen Regelungen des Art. 4 Abs. 1 und 3 der MTR und ihrer Teleologie kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass bei umgesetzter Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR der zusätzliche Einbezug der Schachteldividenden bei der italienischen Muttergesellschaft in die Bemessungsgrundlage der IRAP – über den Ansatz dieser Dividenden zu 5 % bei der Körperschaftsteuer hinaus – gegen Art. 4 MTR verstößt und damit unionsrechtswidrig ist.
Zunächst ist die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR nach ihrem Wortlaut und der Systematik dahin auszulegen, dass sie jede Steuer betrifft, deren Bemessungsgrundlage die Dividenden oder einen Teil der Dividenden umfasst, auch wenn es sich bei dieser Steuer nicht um eine Steuer handelt, die in Anhang I Teil B der Liste der unter Art. 2 lit. a), iii) MTR fallenden Steuern, genannt ist.[6] Art. 2 MTR legt nur den persönlichen Anwendungsbereich der MTR fest, ist jedoch nicht für den sachlichen Anwendungsbereich der MTR maßgeblich, mithin für die Frage, auf welche Steuern sich die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR bezieht, so der EuGH.
Zudem soll die MTR in teleologischer Hinsicht verhindern, dass es wirtschaftlich zu einer Doppelbesteuerung von ausgeschütteten Gewinnen auf der Ebene der Muttergesellschaft kommt. Mit diesem Ziel ist verbunden, dass das Befreiungssystem nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR jede Steuer gleich welcher Art erfasst, deren Bemessungsgrundlage auch nur einen Teil der empfangenen Schachteldividenden von EU-Tochtergesellschaften miteinschließt.[7]
Somit ist festzustellen, dass die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR einer nationalen Regelung entgegensteht, welche die Schachteldividenden von EU-Tochtergesellschaften bei der Muttergesellschaft in eine Steuer wie die IRAP einbezieht, zusätzlich zur Einbeziehung von 5 % dieser Dividenden in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer der Muttergesellschaft, und zwar auch dann, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist, deren Bemessungsgrundlage aber die Schachteldividenden oder einen Teil davon umfasst.[8]
II. Bewertung der EuGH-Entscheidung
Die EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 bis C-94/24 überzeugt vollständig. Die vierte Kammer des EuGH hat im Einklang mit dem klaren Wortlaut, der Systematik und der Teleologie der Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR entschieden.
Überzeugend ist die Ableitung des EuGH, die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR erfasst jede Steuer gleich welcher Art , deren Bemessungsgrundlage sich auch nur auf einen Teil der empfangenen Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften bezieht. Hier stellt der EuGH klar, dass die in Anhang I Teil B genannten Steuern, die Liste der unter Art. 2 lit. a), iii) MTR fallenden Steuern, nur den persönlichen Anwendungsbereich der MTR betrifft, nicht hingegen den Umfang der Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR, der sich auf jede Art der Steuer bezieht, in deren Bemessungsgrundlage die Schachteldividenden direkt oder indirekt eingehen, und nicht nur auf die Körperschaftsteuer.
Ansonsten könnte der Ansässigkeitsmitgliedstaat der Muttergesellschaft bei umgesetzter Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR beliebig durch eine andere Steuer als die Körperschaftsteuer die Freistellung der Schachteldividenden bei der Muttergesellschaft umgehen, und die Schachteldividenden über den Ansatzhöchstbetrag von 5 % hinaus besteuern.[9]
Aus der EuGH-Entscheidung C-92/24 bis C-94/24 ergibt sich somit eine klare Zurückweisung der Argumentation, die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR würde nur für die Körperschaftsteuer gelten, jedoch nicht für andere Steuerarten, insbesondere nicht für solche Steuern, die nicht in Anhang I Teil B der Liste der unter Art. 2 lit. a), iii) MTR fallenden Steuern genannt sind.
Die EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum ist auch konsistent. In seiner bisherigen[10] Rechtsprechung zur Befreiungsmethode hat der EuGH bereits entschieden, das die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR jede Art der Steuer erfasst, auch wenn es sich nicht um eine Körperschaftsteuer handelt.[11]
Überzeugend ist auch die Herausarbeitung des EuGH, dass es sich bei der maximal zulässigen Besteuerung der Schachteldividende im EU-Ansässigkeitsmitgliedstaat der empfangenden Muttergesellschaft nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Abs. 3 Satz 2 MTR um einen Ansatzhöchstbetrag handelt.[12] Maximal und insgesamt darf ein Betrag von 5 % der empfangenen Brutto-Schachteldividende bei der EU-Muttergesellschaft in deren steuerliche Bemessungsgrundlage(n) einbezogen werden, gleichwohl um welche Art der Steuer(n) es sich dabei handelt. Denn die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR steht einer Besteuerung entgegen, bei der die Schachteldividende zusätzlich zum Einbezug in Höhe von 5 % der Bruttodividende in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer noch darüber hinaus in die Bemessungsgrundlage einer weiteren Steuer, im Streitfall die italienische IRAP, einbezogen wird, so der EuGH.[13]
Damit hat der EuGH zutreffend entschieden, dass es sich bei der zulässigen Besteuerung von 5 % der Schachteldividenden bei umgesetzter Befreiungsmethode im Ansässigkeitsmitgliedstaat der empfangenden Muttergesellschaft um einen Ansatzhöchstbetrag der Dividenden in der Bemessungsgrundlage der Muttergesellschaft in Höhe von 5 % der Bruttodividende handelt, und nicht um eine effektive (Gesamt-)Steuerbelastung der Bruttodividenden von 5 %.[14]
Nur dies entspricht dem Wortlaut und der Systematik des Art. 4 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 4 Abs. 3 Satz 2 MTR und erleichtert die effektive Anwendung der MTR. Gleichzeitig wird das Ziel der Richtlinie erreicht, die Doppelbesteuerung von ausgeschütteten Gewinnen auf der Ebene der Muttergesellschaft zu vermeiden und damit den Zusammenschluss von Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu erleichtern.
III. Auswirkungen der EuGH-Entscheidung C-92/24 auf die deutsche Dividendenbesteuerung
Die EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 bis C-94/24 dürfte gravierende Auswirkungen für die gegenwärtige deutsche Besteuerung von Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften haben.[15] Diese ist in vielen Bereichen unionsrechtswidrig aufgrund eines Verstoßes gegen EU-Sekundärrecht (MTR).[16]
Nach Maßgabe der EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum ist die gewerbesteuerliche Erfassung von Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften bei einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft bei einer Beteiligungsquote von mindestens 10 %, aber weniger als 15 % am Kapital der Tochtergesellschaft unionsrechtswidrig. Betroffen ist die Regelung des § 8 Nr. 5 GewStG i.V.m. § 9 Nr. 7 GewStG.
Die Erhöhung der Beteiligungsschwelle von 10 % auf 15 % im internationalen gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg nach § 9 Nr. 7 GewStG für Dividenden von EU-Tochtergesellschaften durch das JStG 2019 ist unionsrechtswidrig. Nach dem Anwendungsvorrang des Sekundärrechts (MTR) ist die erhöhte Beteiligungsschwelle in diesen Fällen nicht anzuwenden (geltungserhaltende Reduktion). Der Gesetzgeber ist verpflichtet, § 9 Nr. 7 GewStG unionsrechtskonform auszugestalten.
Die Anwendung des pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbots nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG i.V.m. § 7 Satz 1 GewSt bei der Gewerbesteuer der deutschen Mutterkapitalgesellschaft auf Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften ist unionsrechtswidrig und zu unterlassen. Die Schachteldividenden sind bereits zu 5 % in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer der deutschen Mutterkapitalgesellschaft einbezogen worden (Ansatzhöchstbetrag). Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR verbietet darüber hinaus jede direkte und indirekte[17] Besteuerung der Schachteldividenden.
Die Erhebung von Solidaritätszuschlag auf die Körperschaftsteuer, die bei der deutschen Mutterkapitalgesellschaft anteilig auf die Schachteldividenden entfällt (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG), ist unionsrechtswidrig. Der EuGH hat in der Rs. C‑365/16, AFEP bereits entschieden, dass ein Zusatzbeitrag zur Körperschaftsteuer, der auf die Schachteldividenden entfällt bzw. sich auf diese bezieht, unter das Verbot des Art. 4 Abs. 3 Satz 2 MTR fällt.[18] Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR verbietet auch jede indirekte Besteuerung der Schachteldividenden über den Ansatzhöchstbetrag von 5 % der Bruttodividende hinaus bei der EU-Muttergesellschaft.[19] Demzufolge kann bei einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft insoweit kein Solidaritätszuschlag[20] erhoben werden, als dieser auf die Körperschaftsteuer entfällt, die sich direkt oder indirekt auf die Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften bezieht (§ 8b Abs. 5 KStG).
Nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung ist die entgegen dem Unionsrecht erhobene deutsche Steuer dem Steuerpflichtigen zu erstatten, explizit zur MTR EuGH, C-92/24 bis C-94/24, wobei eine Verzinsung der Erstattung zu erfolgen hat.
IV. Zusammenfassung und Gestaltungsmöglichkeiten (grenzüberschreitender Formwechsel)
Die Entscheidung Banca Mediolanum, C-92/24 bis C-94/24 stellt eine Grundsatzentscheidung des EuGH zur Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) dar. Hinsichtlich der deutschen Besteuerung führt das Urteil dazu, dass Schachteldividenden aus EU-Tochtergesellschaften bei einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft gewerbesteuerlich nicht mehr erfasst werden können, sofern eine Mindestbeteiligung i.S.d. MTR an der ausschüttenden EU-Tochterkapitalgesellschaft vorliegt (Mindestbeteiligung von 10 % am Kapital). Die Anwendung des pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbots nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG bei der Gewerbesteuer scheidet aus in Bezug auf die vorgenannten Schachteldividenden. Das internationale gewerbesteuerliche Schachtelprivileg nach § 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG ist unionsrechtswidrig, soweit für Schachteldividenden aus EU-Tochterkapitalgesellschaften nicht eine Beteiligungsquote von 10 % gilt und das jeweilige DBA mit dem Sitzstaat der EU-Tochtergesellschaft nach dem DBA-Schachtelprivileg nicht eine gewerbesteuerliche Erfassung[21] der Dividende bei der deutschen Mutterkapitalgesellschaft vermeidet. Weiterhin steht die Befreiungsmethode nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTR der Erhebung von Solidaritätszuschlag entgegen, soweit dieser auf die vorgenannten Schachteldividenden entfällt. Das EuGH-Urteil Banca Mediolanum, Rs. C-92/24 bis C-94/24 belegt den umfassenden Verstoß der deutschen Dividendenbesteuerung gegen EU-Sekundärrecht (MTR).
Für Schachteldividenden – Mindestbeteiligung von 10 % am Kapital – aus Tochterkapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland (Inlandsfall) hilft die EuGH-Entscheidung Banca Mediolanum einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft nicht weiter. Die MTR gilt nur für Beteiligungen an ausländischen EU-Tochterkapitalgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie.[22] Hier kommt als Gestaltungsmöglichkeit der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel der inländischen Tochterkapitalgesellschaft mit verbundener isolierter Satzungssitzverlegung[23] in einen anderen ausländischen EU-Mitgliedstaat in Betracht. Bei einer solchen formgewechselten Gesellschaft handelt es sich dann um eine Tochtergesellschaft im Sinne der MTR, sodass diese zur Anwendung kommt. Der grenzüberschreitende Formwechsel der deutschen Tochterkapitalgesellschaft mit isolierter Satzungssitzverlegung in einen ausländischen EU-Mitgliedstaat führt grundsätzlich zu keiner Entstrickungsbesteuerung. Im neuen Satzungssitzstaat befindet sich nur der Registereintrag (Satzungssitz), ohne dass dorthin Betriebsstätten oder Wirtschaftsgüter verlagert werden.[24] Auch entsteht dort keine Betriebsstätte der Tochtergesellschaft.
Thomas Kollruss, und Julia Delchmann, Berlin/Düsseldorf*
* Die Verfasser sind im nationalen und internationalen Steuerrecht tätig.
[1] Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. 11. 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8).
[2] Die Streitjahre sind 2014 und 2015.
[3] Vgl. EuGH, 1.8.2025 – verb. Rs. C-92/24 bis C-94/24, Banca Mediolanum SpA, ECLI:EU:C:2025:599, Rn. 15, 29.
[4] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 16, 29.
[5] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 18.
[6] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 35, 38.
[7] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 41.
[8] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 44, 47.
[9] Genau dies erfolgt unionsrechtswidrig nach § 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG bei Beteiligung von mindestens 10 %, aber weniger als 15 % am Kapital einer EU-Tochtergesellschaft.
[10] Vgl. EuGH, 17. 5. 2017 – Rs. C‑365/16, AFEP, ECLI:EU:C:2017:378 (Zusatzbeitrag von 3 % zur Körperschaftsteuer); EuGH, 17. 5. 2017 – Rs. C‑68/15, X, ECLI:EU:C:2017:379 (Belgische Fairness Tax); EuGH, 12. 2. 2009 – Rs. C‑138/07, Cobelfret NV, ECLI:EU:C:2009:82, Rn. 40 und 39 (Unzulässigkeit auch der indirekten Besteuerung der Schachteldividende bei der Mutter).
[11] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 32, 33, m.w.N.; ausführlich Kollruss/Mesic, EWS 2025, 95 f.
[12] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 44. So auch bereits Kollruss/Mesic, EWS 2025, 95, 96.
[13] Vgl. EuGH Rs. C-92/24, Rn. 44.
[14] Vgl. zu dieser wichtigen Differenzierung schon Kollruss/Mesic, EWS 2025, 96.
[15] Siehe hierzu auch Kollruss/Mesic, EWS 2025, 96.
[16] Vgl. Kollruss, WPg 2023, 1155–1160; Kollruss, WPg 2019, 1354–1360. A.A. unzutreffend und durch EuGH-Entscheidung, verb. Rs. C-92/24 bis C-94/24 klar widerlegt Kozlowski, FR 2022, 1061–1069.
[17] Vgl. EuGH Rs. C‑138/07, Cobelfret NV, ECLI:EU:C:2009:82, Rn. 40 und 39, EuGH Rs. C‑365/16, AFEP, Rn. 26.
[18] Vgl. ausführlich Kollruss/Mesic, EWS 2025, 96.
[19] Vgl. So schon EuGH Rs. C‑138/07, Cobelfret NV, Rn. 40 und 39.
[20] Vgl. ausführlich zum Solidaritätszuschlag und der Mutter-Tochter-Richtlinie: Kollruss, SWI 2023, 536–540.
[21] Vgl. auch BFH, 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129, RIW 2010, 891. Siehe auch § 9 Nr. 8 GewStG.
[22] Vgl. EuGH, 1.10.2009 – Rs. C-247/08, Gaz de France, ECLI:EU:C:2009:600, EWS 2010, 194.
[23] Vgl. zum grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel mit isolierter Satzungssitzverlegung EuGH, 25.10.2017 – Rs. C‑106/16, Polbud, ECLI:EU:C:2017:804. Siehe ebenfalls hierzu § 333 Abs. 1 UmwG, der den grenzüberschreitenden Formwechsel mit isolierter Satzungssitzverlegung im deutschen Recht normiert und regelt.
[24] Vgl. auch EuGH Rs. C‑106/16, Polbud, Rn. 62, 63, 40.