Lena Noner: Kohleausstieg im beihilferechtlichen Kontext
Tagungsbericht über das 20. ABK – Aachener Altlasten- und Bergschadenkundliches Kolloquium „Kohleausstieg en marche“ am 9.7.2019
Der Kohleausstieg ist mit dem Bericht der Kohlekommission vom 26. 1. 2019, der einen vollständigen Ausstieg bis 2038 vorsieht, in greifbare Nähe gerückt. In den nächsten Jahren wird dementsprechend eine fortwährende Umstrukturierung erforderlich sein, um den geplanten Wandel in die Praxis umsetzen zu können. Dabei ergeben sich große wirtschaftliche und gesellschaftliche, aber auch rechtliche Herausforderungen, vor allem auch zum Beihilferecht. Unter dem Titel „Kohleausstieg en marche“ und der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. jur. Walter Frenz und Prof.Dr.-Ing. Axel Preuße versammelten sich am 9. 7. 2019 wissenschaftliche und industrielle Vertreter sowie Vertreter der Landesministerien von Brandenburg und NRW an der RWTH Aachen zum Kolloquium „Kohleausstieg en marche“.
Nach einer kurzen Eröffnung von Prof. Dr.-Ing. Preuße, in der insbesondere der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung hervorgehoben wurde, begann die Tagung mit dem einführenden Beitrag von Prof. Dr. Walter Frenz, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Berg-, Umwelt- und Europarecht der RWTH Aachen: „Rechtlicher Rahmen des Kohleausstiegs und Beihilferecht“. Die Vorschläge der Kohlekommission seien von enormer Wichtigkeit, allerdings seien die Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Kohleunternehmen bisher nicht abgeschlossen. Die weitere Entwicklung verlaufe möglicherweise in ähnlicher Art und Weise wie die des Atomausstiegs: Ende 2019 könnte das sogenannte Strukturstärkungsgesetz vom Bundeskabinett beschlossen werden, im Anschluss das Kohleausstiegsgesetz. Wegen der diesbezüglich nicht eindeutigen Rechtslage sei auch der Umgang mit Enteignungen relevant, denn für den Fall, dass Enteignungen infolge eines gewandelten Gemeinwohlziels in Kombination mit einem dauerhaft geänderten Energiemix nicht mehr möglich seien, würde auch dem bis 2045 festgeschriebenen Garzweiler-Rahmenbetriebsplan die Grundlage entzogen; dies impliziere wiederum eine Entschädigungspflicht. Es müsse aber insgesamt sichergestellt sein, dass die bis 2038 vorgesehene Kohleverstromung gewährleistet ist.
Eine maßgebliche Rolle spielt insoweit auch der beihilferechtliche Rahmen: In Anbetracht des zentralen Ziels, die Auswirkungen des Kohleausstiegs durch Förderungen der betroffenen Gebiete aufzufangen, bietet er zahlreiche Ansatzpunkte, um Fördermittel zu legitimieren. Insgesamt werden ca. 40 Mrd. Euro für Projekte zur Verfügung stehen. Dabei sind Beihilfen, die unter die vorgegebenen Kriterien der allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) fallen, von vornherein erlaubt und können zur finanziellen Unterstützung von Projekten genutzt werden – ohne Anmeldung bei der Kommission. Im Hinblick auf den Kohleausstieg besonders relevant sind Regionalbeihilfen für die Lausitz und Beihilfen für KMU sowie für Forschung, Entwicklung und Innovation (F&E&I) und Ausbildung (etwa für Umschulungen). Sind die Bedingungen der AGVO nicht erfüllt, können Beihilfen nach Anmeldung über eine Einzelfallprüfung dennoch genehmigt werden. Handelt es sich nach Art. 107 AEUV um eine Beihilfe, muss, insbesondere bei Überschreiten der Schwellenwerte, die Kommission die Förderungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt prüfen und ggf. genehmigen. Für diese Genehmigungen werden verschiedene Unionsleitlinien herangezogen, so die für F&E&I im Bereich der Digitalisierung. Fallen Förderungen unter die dort festgehaltenen Kriterien, sind sie beihilfefähig und können vom Staat finanziell umgesetzt werden. Nicht unter das Beihilfenrecht dagegen fallen nach dem EuGH-Urteil zum deutschen EEG 2012 Fördermaßnahmen, bei denen ein konkreter staatlicher Einfluss nicht nachgewiesen werden kann. Im Rahmen der Braunkohleproblematik sind dies, so Frenz, besonders Stützmaßnahmen, deren Finanzierung vollständig über private Fonds erfolgt. Er brachte auch eine gesetzliche Ausweitung des EEG ins Spiel, hatte der EuGH doch für dieses Gesetz die Beihilfeeigenschaft verneint.
Anschließend präsentierte Olaf Gockel, Leiter des Dezernats 6 für Planung, Entwicklung und Controlling der Zentralen Hochschulverwaltung der RWTH, verschiedene Ansätze der Universität, sich am strukturellen Wandel im Rheinischen Revier zu beteiligen, indem neue Ideen in Form von Projekten gefördert werden.
Dr.-Ing. Klaus Freytag schloss mit einer Schilderung der Strukturentwicklung in der Lausitz und der regionalen Konsequenzen des Kohleausstiegs daran an. In seiner Funktion als Lausitz-Beauftragter des Ministerpräsidenten sehe er sich im Rahmen der Umstrukturierung besonders mit dem Problem der Monostruktur der Berg- und Energiewirtschaft konfrontiert, die aktuell mit zahlreichen Arbeitsplätzen beträchtlich zur Attraktivität der Region beitrage. Um diese zu sichern, seien bereits der Ausbau der Infrastruktur und die Ansiedlung von Forschung und Wissenschaft als Kernziele festgelegt worden. In Ermangelung einer klaren Handlungsgrundlage für die betroffenen Regionen hofft Freytag auf einen Beschluss des Gesetzes zum Kohleausstieg bis Anfang 2020.
RechtsanwaltProf. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg erklärte in seinem Vortrag über Wasserstandsregulierungen und Bergschäden zunächst die Grundpflichten des Bergbauunternehmers nach § 61 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a) BBergG, die vorsehen, dass dieser alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern von Beschäftigten und Dritten treffen muss, soweit die Eigenart des Betriebes dies zulässt. Sind Oberflächeneigentümer nachweislich von Schäden durch bergbaubedingte Wasserhaltungsmaßnahmen betroffen, sei ein Schadensersatz möglich. Die größten Probleme stellen hierbei die Beweisführungslast für den Schaden sowie dessen Höhe und genaue Ursache dar, so Müggenborg. Mögliche Anspruchsgegner seien sowohl der Bergbauunternehmer als auch die zuständigen Wasserverbände, die durch Gewässerverlegungen ohne Planfeststellungen und ausreichende Beobachtungsmaßnahmen ebenfalls Schäden verursachen können. An dieser Stelle gab es aus dem Publikum einen Einwand aus Sicht eines Wasserverbands, der das plangenaue Vorgehen bei solchen Flächen betonte.
Alexandra Landsberg, Leiterin der Stabstelle Rheinisches Revier im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW referierte über die durch die Empfehlungen der Kohlekommission entstehenden Konsequenzen für das Rheinische Revier. Ähnlich wie die Lausitz ist auch das Rheinische Revier von der energieintensiven Industrie geprägt. Landsberg hofft auf die Ausbildung einer „Modellregion“ für eine nachhaltige Weiterentwicklung der industriellen Wertschöpfungsketten im Zuge des Wandels der regionalen Wirtschaft mit neuen Perspektiven. Nicht umsonst stelle die Bundesregierung große Summen für die Umstrukturierung über das Sofortprogramm zur Verfügung, von denen bereits einige Projekte im Rheinischen Revier finanziert werden. Des Weiteren sei ein Regelprogramm zur Förderung durch das Strukturstärkungsgesetz vorgesehen, das noch in 2019 verabschiedet werden und damit neue Möglichkeiten für den Wandel in dieser kohlegeprägten Region schaffen soll.
Ein Beispiel für diese Möglichkeiten präsentierte Prof. Dr. rer. nat. Rolf Bracke, Direktor des Internationalen Geothermie Zentrums (GZB) in Bochum, indem er eine mögliche Nutzung der ehemaligen Kohleregionen durch Geothermie aufzeigte. Er betonte die Bedeutung der Wärmeproduktion in Industrie und Gewerbe und führte als positives Beispiel das Projekt Mijnwater B.V. in Heerlen an, das bereits ehemalige Bergbaustrukturen für ein Wärmenetz nutzt. Lediglich die Belastungsfähigkeit eines solchen Netzes durch Temperaturschwankungen sei noch zu untersuchen.
Dr. Tobias Traupel, Ministerialdirigent im Wirtschaftsministerium NRW und Leiter der Abteilung VIII „Standortmarketing und -entwicklung“, befasste sich mit dem aktuellen Stand der Gesetzgebung, insbesondere in Bezug auf eine beihilfekonforme staatliche Förderung von zukünftigen Projekten, welche den strukturellen Wandel im rheinischen Revier unterstützen. Damit griff er die bereits von Frau Landsberg angesprochenen Fragen auf und beleuchtete sie aus einer anderen Perspektive. Auf verschiedene Ansätze, über die eine Legitimation möglich ist, ging er näher ein. Um eine finanzielle Förderung grundsätzlich aufzubauen, müsse diese zunächst ausreichend begründet bzw. gerechtfertigt werden. Im rheinischen Revier sei diese Rechtfertigung durch den fundamentalen Wandel, welchen der Kohleausstieg für das Gebiet mit sich bringt und der aller Wahrscheinlichkeit nach ein staatlich auszugleichendes Marktversagen nach sich zieht, hinreichend gegeben. Bei der Förderung müsse jedoch das Augenmerk auf die Vereinbarkeit mit dem Beihilferecht gelegt werden. Diese sei zum einen gegeben, wenn die Förderung sich außerhalb des Beihilferechts bewegt, wie es bei nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten der Fall ist, die also kein Unternehmen fördern oder begünstigen. Der Schwerpunkt in dieser Kategorie liegt in der Förderung von Bildungs- und Forschungseinrichtungen ohne erwerbswirtschaftliche Merkmale, wie beispielsweise Universitäten. Darüber hinaus existieren auch beihilfefähige Förderungen. Im Fall des rheinischen Reviers seien das vor allem Innovations- und Entwicklungsförderungen für Forschungs- und Wissenstransfereinrichtungen, aber auch für Unternehmen, mit Beihilfeintensitäten von 25%, 50% oder 100%. Überdies seien Investitionsbeihilfen zur Förderung der Energieinfrastruktur unter bestimmten Voraussetzungen mit einer Intensität von bis zu 100% möglich.
Im Gegensatz dazu schloss Traupel Regionalbeihilfen für NRW in diesem Zusammenhang aus – hauptsächlich aufgrund der Strukturstärke der Region verglichen mit anderen Kohleregionen im Wandel. Eine Abhilfemöglichkeit läge insoweit in der direkten Kontaktaufnahme mit der EU-Kommission, in deren Rahmen die regionalen Herausforderungen und industriepolitischen Zielsetzungen ausführlich geschildert und damit die Notwendigkeit einer finanziellen Förderung möglicherweise begründet werden könne. Ob diese Maßnahme Erfolg mit sich bringt, bleibe letztendlich jedoch abzuwarten.
Michael Eyll-Vetter, Leiter der Tagebauentwicklung der RWE Power AG in Köln, schilderte die Entwicklung des Rheinischen Braunkohlenreviers nach Abschluss der Kohlekommission. Zuerst stellte er den aktuellen Anlagenstand nach Anpassung der Kraftwerksanlagen und deren damit einhergehende flexiblere Sicherheitsbereitschaft vor. Anschließend betonte er die Einbeziehung der Empfehlungen der Kohlekommission für zukünftige Planungen. Dem viel diskutierten Wunsch der Erhaltung des Hambacher Forstes sei jedoch schwerlich nachzukommen, da die Aufrechterhaltung des Kraftwerksbetriebs für die verabredeten Zeiträume eine festgelegte Kohlemenge erfordere, deren Gewinnung ohne die Rodung des Forstes nicht möglich sei. Durch den Rodungsstopp gemäß dem Beschluss vom OVG Münster seien bereits hohe Kosten und Unsicherheit entstanden, die sich negativ auf die dauerhafte Standsicherung auswirken.
In diesem Zusammenhang berichtete Dirk Weinspach, Polizeipräsident von Aachen, über die Entwicklung der polizeilichen Lage am Hambacher Forst nach dem Kohleausstiegsbeschluss. Es sei zu keinerlei Beruhigung gekommen, wobei ein großes Problem in der fehlenden Kommunikation bestehe. Dies impliziere die Dringlichkeit einer politisch und rechtlich verbindlichen Regelung. Dennoch müsse die Polizei für Sicherheit sorgen, ein rechtsfreier Raum am Hambacher Forst sei nicht akzeptabel und es erfolge daher eine konsequente Straftäterverfolgung.
Prof. Preuße setzte sichmit möglichen Folgeperspektiven auseinander. Im Rahmen weiterer RWTH-Projekte sollen unter dem Titel „Georesources Transformation Engineering“ technische Prozesse untersucht werden, die einen Beitrag zur strukturellen Neugestaltung des Rheinischen Reviers leisten.
Im Schlusswort sprach Prof. Frenz allen Mitwirkenden seinen Dank aus und stellte weitere Kolloquien zum Thema in Aussicht. Das nächste Kolloquium „Klimaschutz durch Energiewende“ wird am 28. 1. 2020 stattfinden (s. www.abk.gdmb.de). Einige Vorträge der Veranstaltung sind im Heft 146 „Kohleausstieg en marche“ der GDMB-Schriftenreihe festgehalten.
Lena Noner, B. Sc. ist wissenschaftliche Hilfskraft an der RWTH Aachen (Lehr- und Forschungsgebiet: Berg-, Umwelt- und Europarecht).