Björn Steinrötter: Obacht, Online-Plattformen: Der Digital Services Act kommt!
In Brüssel braut sich in diesen Tagen einiges zusammen und viele haben es bis dato überhaupt noch nicht mitbekommen. Erneut, nach z.B. Platform-to-Business-Verordnung (v.a. Transparenzpflichten) und Art. 17 Digital-Single-Market-Richtlinie (Uploadfilter), wird es Online-Portale treffen. Jüngst hat das EU-Parlament seinen Bericht verabschiedet (EP, Bericht vom 7. 10. 2020, A9-0181/2020), schon im Dezember 2020, spätestens Anfang 2021 möchte die EU-Kommission einen Vorschlag für ein „Plattformgrundgesetz“, den „Digital Services Act“ (DSA), vorstellen. Dieser sieht in der Sache u.a. die Reform der in die Jahre geratenen E-Commerce-Richtlinie vor. Dabei hat das geplante DSA-Paket durchaus das Zeug dazu, eine ähnliche praktische Relevanz zu entfalten und damit vergleichbare lobbyistische Widerstände während des Gesetzgebungsverfahren zu erfahren wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bzw. die ePrivacy-Verordnung.
Zwar liegt der Fokus nun allein auf digitalen Diensten; insoweit geht es aber um nichts geringeres als um die Neujustierung der Verantwortlichkeit von Online-Plattformen und die zusätzliche Kreation von Ex ante-Pflichten zur Regulierung der Marktstellung mancher – namentlich der großen – Portale als „Torwächter“ für den Zugang zu digitalen Gütern (zum Ganzen Achleitner, ecolex 2020, 942). Die Schaffung eines spezifischen Kontrollregimes für marktstarke Dienste der Informationsgesellschaft läuft auf eine Art „Sonderkartellrecht“ (unterhalb der traditionellen kartellrechtlichen Schwelle) hinaus. Einen ähnlichen Zungenschlag haben Überlegungen, wonach Lock-in-Effekten durch Interoperabilitätsvorgaben begegnet und damit kleineren Anbietern der Marktzugang erleichtert werden soll. Hinzu tritt dann ggf. noch das „New Competition Tool“ als eigenständige kartellrechtliche Verordnung (basierend auf Art. 103 AEUV).
Nun geht in der Digitalwirtschaft freilich insbesondere die Angst um, das bisherige Haftungsprivileg (Art. 14 E-Commerce-Richtlinie) könnte aufgeweicht, Host-Provider könnten künftig stärker in die Pflicht genommen werden. Gemeint ist die Pflicht zu einem proaktiven Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte. Wie diese Inpflichtnahme konkret aussehen soll, ist jedoch noch unklar. Gegenstand der Diskussion sind etwa Ansätze, die zwischen redaktionellen und nicht-redaktionellen Tätigkeiten der Portale unterscheiden, sowie solche, die über ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten bzw. tatsächliches Wissen hinsichtlich des jeweils in Rede stehenden Inhalts differenzieren wollen (Achleitner, ecolex 2020, 942, 943 m.w.N.). Klar erscheint indes, dass die Fragmentierungen innerhalb des Binnenmarktes durch beispielsweise das deutsche NetzDG sowie das französische Anti-Hass-Gesetz mit dem DSA obsolet gerieten (BT, Wissenschaftliche Dienste Nr. 10/20 vom 15. 9. 2020, S. 1).
In Rede steht überdies die Frage nach einer EU-Plattformaufsicht, ausgestaltet etwa als europäische Agentur. Auch Moderationsregeln für Plattformen und Vorgaben zu algorithmischen Empfehlungssystemen stehen zur Diskussion. Hingegen dürfte das Herkunftslandprinzip im Ausgangspunkt beibehalten werden, wobei eine Ausdehnung des räumlichen Anwendungsbereichs des Plattformregimes auf extra-unionale Portale angezeigt erscheint. Damit wären prinzipiell auch etwa US-amerikanische Plattformen erfasst (unterdessen geht die US-Regierung gesetzgeberisch gegen „böswillige Zensur“ von Plattformen vor: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/us-regierung-legt-gesetz-zu-regeln-fuer-online-plattformen-vor).
Ob bei alledem eine „One-size-fits-all“-Lösung sinnvoll wäre, darf mit Blick auf die Heterogenität von Online-Portalen bezweifelt werden.
Sicher ist, dass das „Plattformgrundgesetz“ von seiner Grundidee zu den wichtigeren EU-Rechtsetzungen der jüngeren Vergangenheit zählen wird. Unsicher ist aber, was am Ende, nach Trilogverfahren und lobbyistischem Dauerfeuer von den ursprünglichen Ideen übrigbleibt. Auch eine Verzögerung wie bei der seit langem geplanten ePrivacy-Verordnung erscheint nicht undenkbar. Für ein zähes Verfahren sprechen nicht zuletzt die 919 Änderungsanträge für den Hauptbericht des federführenden Binnenmarktausschusses (vgl. BT, Wissenschaftliche Dienste Nr. 10/20 v. 15. 9. 2020, S. 2).
Jun.-Prof. Dr. Björn Steinrötter, Universität Potsdam.