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EWS-Standpunkte
14.05.2014
EWS-Standpunkte
Dr. Petra Erler: Plädoyer für eine Politik der Vernunft

Zum ersten Mal in diesem neuen Jahrhundert erweisen sich Frieden und Sicherheit in Europa wieder als brüchig, droht ein Kalter-Krieg-Szenario, ausgelöst durch die Ereignisse in der Ukraine.

Nun wird die Krim russisch - und wie weiter? Sanktionen gegen Russland folgen, aber die Gefahr ist groß, dass in einer Sanktionsspirale der notwendige Gesprächsfaden abreißt. Die Krimereignisse könnten anderswo Schule machen. Die Ukraine könnte wirtschaftlich kollabieren. Die Lage bleibt brandgefährlich. Deshalb ist es richtig, eine Neuordnung der Verfassung in der Ukraine anzustreben, wie dies der russische und der amerikanische Außenminister vereinbart haben. Das böte eine Lösung für die verhärteten Positionen, in der sich der Westen mit Russland im Dauerstreit über die Auslegung der Verfassungsbrüche in der Ukraine befindet. Nein, der Amtsantritt der derzeitigen Regierung der Ukraine erfolgte nicht auf dem Boden der ukrainischen Verfassung. Janukowitschs Zeit (und die seiner Clique) war einfach abgelaufen. Punkt. Auch auf der Krim wurde die ukrainische Verfassung gebrochen.

Dennoch möchte man sich verwundert die Augen reiben: Im 21. Jahrhundert treffen zwei Großmächte Verabredungen über die Verfassung eines unabhängigen dritten Staates? Inzwischen geht es nicht allein um Sanktionen des Westens gegen Russland. Inzwischen geht es auch um die Deeskalation eines Konflikts, in dem das Völkerrecht, die einzige verlässliche Grundlage für die friedliche Beilegung von Konflikten, derzeit keinen sicheren Ausweg bietet. Zu Recht berufen wir uns darauf, dass es illegitim ist, dass sich Russland zur Schutzmacht der Krim (und aller ukrainischen Russen) erklärt. Das aber interessiert Russland nicht, denn es gibt hinreichend Beispiele, wo sich der Westen ebenfalls darüber hinweggesetzt hat, was international rechtens gewesen wäre. Der Konflikt aber lässt sich nicht beilegen, wenn beide Seiten zwanghaft immer wieder die gleichen sich widersprechenden Positionen vortragen. Vernünftige Politik muss Spannungen abbauen und Deeskalation betreiben.

Inzwischen ist Begrenzung des Schadens notwendig, den eine Politik des geopolitischen Tauziehens zwischen dem Westen und Russland um die Ukraine verursachte. Russland und die EU haben nahezu spiegelbildlich der Ukraine das beinahe Unmögliche abverlangt, die ultimative Entscheidung: dafür oder dagegen. Wie sich herausgestellt hat, ist das mit den Bedingungen in der Ukraine nicht kompatibel. Eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung vom März 2014 belegt, dass eine Mehrheit der Ukrainer gleichermaßen an guten Beziehungen zum Westen und zu Russland gelegen ist. Das ukrainische Volk ist EU-freundlich. Aber es braucht auch gute Nachbarschaft mit Russland. Zudem hat Russland durch den Schwarzmeerflottenvertrag auf der Krim sicherheitspolitische Interessen, die weit über die Ukraine hinausgehen. Deshalb spricht der amerikanische Außenminister inzwischen auch von der Notwendigkeit, legitime Interessen der Russen zu berücksichtigen. Für die Krimereignisse kam diese Einsicht jedoch zu spät. Soweit wie die Amerikaner ist die EU noch nicht, da sie ihre Mitverantwortung am Zustandekommen der heutigen Lage entweder nicht völlig begreift oder nicht begreifen will. Es sind schwere Fehler gemacht worden. Im Rückblick werden sie deutlich.

Die Ukraine hatte sich bereits vor 10 Jahren auf einen pro-europäischen Kurs begeben und nahm die EU-Mitgliedschaft als Ziel ins Visier. Davon wollte die EU nichts wissen. Nicht einmal den Verweis auf den EU-Vertrag, der allen europäischen Ländern das Recht einräumt, sich um eine Mitgliedschaft zu bewerben, hat die EU der Ukraine im Assoziierungsabkommen zugestanden. Die EU trägt auch die Verantwortung, dass die Assoziierung 2012 nicht unterschrieben wurde. So gut die Gründe dafür auch schienen, mit dieser Entscheidung verbündete sich die EU mit der Opposition in der Ukraine und opferte strategische Interessen ukrainischem innenpolitischen Kalkül.

Die Aussetzung der Assoziierung an die EU durch Janukowitsch nahm die ukrainische Opposition zum Anlass, den Maidan wiederzubeleben, eine Opposition, die sich bereits im März 2013 zur Bewegung “Ukraine - steh auf” zusammengeschlossen hatte und der auch die extreme Rechte (Swoboda) angehört. Der Erfolg der Opposition brachte schließlich auch Vertreter von Swoboda in die amtierende Regierung. In der Euphorie über den Umsturz in der Ukraine hat die EU dies legitimiert - und die Swoboda weiß gewaschen. Noch im Dezember 2012 hatte das Europäische Parlament die demokratischen Parteien in der Ukraine aufgerufen, nicht mit Swoboda zu koalieren. Die Verharmlosung der Swoboda wird nicht zu halten sein und nur zügige Parlamentswahlen bieten einen Weg zu einer ukrainischen Regierung, die vollständig auf dem Boden europäischer Werte steht. Eine solche Regierung könnte Moskau nicht mehr verteufeln.

Für die Sicherheit und Stabilität in Europa ist die Verständigung zwischen der EU und Russland fundamental. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber hochaktuell. In der Frage der Assoziierung der Ukraine hat die EU das Gespräch mit Russland nicht gesucht. Deshalb müssen wir uns dringend damit befassen, wie sich die ökonomischen Beziehungen in Europa künftig entwickeln sollen. Der derzeitige Gegensatz zwischen Eurasischer Union und EU darf sich nicht weiter verfestigen. Eine Lösung bestünde darin, einen großen Wirtschaftsraum schaffen, der von Lissabon bis Wladiwostok reicht. In diesem Punkt denken Brüssel und Moskau ähnlich.

Zudem muss sich die EU ernsthaft, und auch unter Beteiligung Russlands, mit der ökonomischen Lage der Ukraine beschäftigen. In der aktuellen Situation käme ein Abbruch ihres Handels mit Russland einem wirtschaftlichen Todesstoß gleich. Das Land hat nicht das Potential, vom russischen auf den europäischen Markt auszuweichen. Es muss auch darüber gesprochen werden, warum sich die strategischen Partner - EU und Russland - heute gegenüberstehen, als befände man sich zu Zeiten des Kalten Krieges. Jetzt ist Rückkehr zur Vernunft geboten.

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