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Politiken
08.02.2023
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EuG: Energiebinnenmarkt und Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse: das Gericht weist die Klage der Aquind Gruppe ab

Das EuG (2. Kammer) hat mit Urteil vom 8. 2. 2023 – Rs. T-295/20; Aquind Ltd u. a. gegen B; ECLI:EU:T:2023:52 – entschieden. PM Nr. 23 v. 8.2.2023:

Das Unionsrecht überträgt dem von dem Vorhaben betroffenen Mitgliedstaat das Ermessen, dessen Aufnahme in die Liste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse zu akzeptieren oder zu versagen, ohne dass sich die Kommission über eine Versagung hinwegsetzen kann Die Klägerinnen, die Aquind Ltd, die Aquind SAS und die Aquind Energy Sàrl, sind Vorhabenträgerinnen für eine Verbindungsleitung für Elektrizität zwischen den Stromübertragungsnetzen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs (im Folgenden: Aquind Verbindungsleitung). Da das Vorhaben innerhalb der für die Vollendung des Energiebinnenmarkts erforderlichen Infrastrukturen als wesentlich angesehen wurde, wurde es durch die Delegierte Verordnung 2018/540[1] in die Liste der „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (PCI) der Europäischen Union aufgenommen.

Da die Unionsliste der PCI alle zwei Jahre erstellt wird, wurde die durch die Delegierte Verordnung 2018/540 festgelegte Liste durch die Liste der Delegierten Verordnung 2020/389[2] (im Folgenden: angefochtene Verordnung) ersetzt. Die neue Liste im Anhang der angefochtenen Verordnung führte die Aquind Verbindungsleitung auf der Liste der Vorhaben auf, die nicht mehr als PCI der Union betrachtet werden.

Daraufhin befassten die Klägerinnen das Gericht mit einer Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung, soweit sie die Aquind Verbindungsleitung von der Unionsliste der PCI streicht.

Das Gericht weist die Klage in vollem Umfang ab. In seinem Urteil stellt es u. a. fest, dass ein Mitgliedstaat dann, wenn er entscheidet, ein auf seinem Hoheitsgebiet gelegenes PCI nicht in die durch die Verordnung Nr. 347/2013[3] vorgesehene Liste aufzunehmen, über ein Ermessen in dieser Angelegenheit verfügt, das die Europäische Kommission nicht in Frage stellen kann.

Würdigung durch das Gericht

Erstens prüft das Gericht, ob die auf den Umstand, dass Frankreich die Aufnahme des Vorhabens in die Unionsliste der PCI nicht genehmigt hat, gestützte Begründung der Kommission dafür, die Aquind Verbindungsleitung nicht als PCI der Union in die angefochtene Verordnung aufzunehmen, als ausreichende Begründung[4] angesehen werden konnte.

Nach einem Hinweis auf den Wortlaut von Art. 172 Abs. 2 AEUV, wonach Leitlinien und PCI, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, dessen Billigung bedürfen, führt das Gericht insoweit aus, dass diese Bestimmung in Anbetracht ihres eindeutigen Wortlauts, der keine Schwierigkeit bei der Auslegung aufweist, dem betroffenen Mitgliedstaat das Ermessen überträgt, die Aufnahme eines Vorhabens in die Unionsliste der PCI zu billigen oder dies nicht zu tun. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für den betroffenen Mitgliedstaat eine Art Vetorecht einzurichten, erklärt sich dadurch, dass die Politik der transeuropäischen Netze gebietsbezogene Aspekte umfasst und mithin in gewisser Weise die Raumordnung betrifft, bei der es sich um einen traditionell der Souveränität der Mitgliedstaaten unterliegenden Bereich handelt.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, dass die Kommission die Begründungspflicht[5] erfüllt hat, indem sie auf den Umstand Bezug genommen hat, dass Frankreich die Aufnahme der Aquind Verbindungsleitung in die Unionsliste der PCI nicht genehmigt hat. Der Kommission kann auch nicht vorgeworfen werden, von Frankreich keine Erläuterungen zu den Gründen für diese Versagung verlangt zu haben. In diesem Zusammenhang können die Bestimmungen der Verordnung Nr. 347/2013[6] nicht dahin ausgelegt werden, dass die Kommission für eine etwaige vom Mitgliedstaat bei der Nichtgenehmigung eines Vorhabens begangene Rechtswidrigkeit haftbar gemacht werden kann und daher für die mögliche Verletzung der Begründungspflicht durch den Mitgliedstaat einstehen muss. Nach Ansicht des Gerichts stünde ein solcher Ansatz im Widerspruch zu den Vorschriften über die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, wie sie in Art. 172 AEUV vorgesehen sind und in der Verordnung Nr. 347/2013 wiederaufgegriffen werden. Der AEU-Vertrag hat nämlich die Kompetenz der Union im Bereich der PCI der Union klar eingegrenzt, da die Kommission ein Vorhaben, das von dem Mitgliedstaat, auf dessen Hoheitsgebiet es realisiert werden soll, nicht gebilligt wird, nicht in die Liste der PCI der Union aufnehmen kann.

Zweitens befasst sich das Gericht mit einem behaupteten Verstoß gegen Verfahrensvorschriften und materielle Bestimmungen der Verordnung Nr. 347/2013.[7] Insoweit stellt es fest, dass die Klägerinnen nicht nachgewiesen haben, dass der Umstand, dass die Aquind Verbindungsleitung das unsicherste derjenigen Vorhaben war, die für eine Aufnahme in die Unionsliste der PCI geeignet waren, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung in Frage stellen könnte. Das Gericht hebt hervor, dass die Kommission nach der Verordnung Nr. 347/2013[8] verpflichtet war, den Umstand, dass Frankreich die Aufnahme der Aquind Verbindungsleitung in die Unionsliste der PCI nicht genehmigt hat, zu berücksichtigen und dass sie die Begründung, wonach dieses Vorhaben das unsicherste war, nicht in Frage stellen konnte. Das Gericht führt weiter aus, dass nach der Verordnung Nr. 347/2013[9] die von einem Mitgliedstaat vorgebrachten Gründe für die Versagung zu prüfen sind, wenn ein Mitgliedstaat der betroffenen regionalen Gruppe dies verlangt. Die Kommission war somit nicht befugt, eine Prüfung der von Frankreich vorgebrachten Gründe zu verlangen, und hat mithin insoweit keinen Fehler begangen. Im vorliegenden Fall hat kein Mitgliedstaat von Frankreich verlangt, die Gründe für die Versagung zu erklären. Selbst unterstellt, die Feststellung Frankreichs, dass die Aquind Verbindungsleitung das unsicherste Vorhaben sei, wäre auf einen Beurteilungsfehler zurückzuführen, verfügte die Kommission nicht über die Befugnis, diesen zu korrigieren; ebenso wenig ist das Gericht befugt, diese Frage selbst zu prüfen.



[1] Delegierte VO (EU) 2018/540 der Kommission vom 23. 11. 2017 zur Änderung der VO (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (ABl. 2018, L 90, S. 38).

[2] Delegierte VO (EU) 2020/389 der Kommission vom 31. 10. 2019 zur Änderung der VO (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (ABl. 2020, L 74, S. 1).

[3] Art. 3 der VO (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 4. 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der VO (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009 (ABl. 2013, L 115, S. 39).

[4] Im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung auf diesem Gebiet.

[5] Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 Buchst. a und Anhang III Nr. 2 Abs. 10 der VO Nr. 347/2013.

[6] Art. 3 Abs. 1 und 4 sowie Art. 16 der VO Nr. 347/2013.

[7] Insbesondere Art. 5 Abs. 8 der VO Nr. 347/2013.

[8] Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 Buchst. a und Anhang III Nr. 2 Abs. 10 der VO Nr. 347/2013.

[9] Anhang III Nr. 2 Abs. 10 der VO Nr. 347/2013.

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