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Politiken
06.01.2021
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GA Tanchev: Das polnische Gesetz, das eingeführt wurde, um die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Beurteilung von Richterkandidaten für das Oberste Gericht ...

... durch den Landesjustizrat auszuschließen, verstößt gegen EU-Recht

Der GA Tanchev schlägt mit Schlussanträgen vom 17. 12. 2020 – Rs. C-824/18; A.B. u. a./Krajowa Rada Sądownictwa u. Beteiligte, ECLI:EU:C:2020:1053 – die Vorlagefragen des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) wie folgt zu beantworten:

1. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 267 AEUV ist wie folgt auszulegen:

Im Hinblick auf den Kontext und das Zusammenspiel mit anderen in Polen bestehenden Gegebenheiten, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat – u. a. a) dass der polnische Gesetzgeber die nationale gesetzliche Regelung geändert hat, damit die beim Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsklagen und Vorabentscheidungsersuchen gegenstandslos werden, b) dass der Präsident der Republik ungeachtet der vom vorlegenden Gericht angeordneten Aussetzung der Vollziehung der betreffenden Entschließungen der KRS acht der Kandidaten, die die KRS mit den hier in Rede stehenden Entschließungen vorgeschlagen hatte, zu Richtern am Obersten Gericht ernannt hat und c) dass der polnische Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes vom 26. 4. 2019 Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat, die klarstellen, dass Entschließungen der KRS wie diejenigen in den Ausgangsverfahren einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen müssen –, ist Art. 267 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift wie dem Gesetz vom 26. 4. 2019 entgegensteht, soweit sie für Verfahren wie dasjenige vor dem vorlegenden Gericht die Verfahrenseinstellung von Rechts wegen vorsieht und gleichzeitig die Abgabe der Verfahren an ein anderes nationales Gericht oder die erneute Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einem anderen nationalen Gericht ausschließt;

denn wenn das nationale Gericht, das ursprünglich die Zuständigkeit für die angeführten Streitigkeiten innehatte, nach der wirksamen Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der betreffenden Entschließungen der KRS den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, wird das Recht auf Zugang zu einem Gericht auch insoweit vereitelt, als in dem vor dem (ursprünglich) zuständigen Gericht anhängigen Individualverfahren diesem Gericht sowohl die Möglichkeit genommen wird, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, als auch sein Recht darauf, die Entscheidung des Gerichtshofs abzuwarten, was den unionsrechtlichen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aushöhlt.

Die Beseitigung des gerichtlichen Rechtsbehelfs (bzw. des Rechts darauf), der bis dahin in einem Verfahren wie dem Ausgangsverfahren gegeben war, sowie insbesondere die Anwendung dieser Beseitigung gegenüber Parteien eines Rechtsstreits, die – wie die Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren – bereits Beschwerde eingelegt hatten, stellt (im Hinblick auf den Kontext und die Konstellation der sonstigen der Beseitigung zugrunde liegenden Gegebenheiten, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat) eine Maßnahme dar, die solcher Art ist, dass sie nicht nur zum Eindruck mangelnder Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der an das betreffende Gericht berufenen Richter wie auch des Gerichts selbst beiträgt, sondern diesen Eindruck sogar verstärkt. Da der Eindruck der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit fehlt, ist ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gegeben.

Das vorlegende Gericht kann in unmittelbarer Anwendung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV das Gesetz vom 26. April 2019 unangewendet lassen und seine eigene Zuständigkeit für die Entscheidung über die im Ausgangsverfahren anhängigen Sachen nach dem vor der Verabschiedung des genannten Gesetzes geltenden Rechtsrahmen erklären.

2. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist wie folgt auszulegen:

Die Erwägungen oben unter 1 gelten im Rahmen der ersten Vorlagefrage entsprechend für die Feststellung, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – im Hinblick auf den Kontext und das Zusammenspiel mit anderen in Polen bestehenden Gegebenheiten, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat – einem nicht hinreichend wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf wie demjenigen, der ursprünglich im Ausgangsverfahren Anwendung fand (Art. 44 Abs. 1a, 1b und 4 des Gesetzes über den Landesjustizrat), entgegensteht.

Im Hinblick auf den Kontext und das Zusammenspiel mit anderen in Polen bestehenden Gegebenheiten, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat, sind nationale Rechtsvorschriften, die der Verwirklichung der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV niedergelegten Ziele entgegenstehen, vom vorlegenden Gericht unangewendet zu lassen. Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht daher i) Bestimmungen, die dazu führen würden, dass die Möglichkeit, die Beurteilung der Richterkandidaten im Hinblick auf die von ihnen zu erfüllenden Voraussetzungen auf Beurteilungsfehler hin zu prüfen, völlig ausgeschlossen wäre, sowie ii) die Teilbestandskraft der Entschließungen der KRS in Bezug auf die ernannten Kandidaten unangewendet zu lassen. Andernfalls wäre die gerichtliche Überprüfung einer solchen Entschließung in Bezug auf den ernannten Kandidaten illusorisch.

(Schlussanträge)

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