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Politiken
04.03.2021
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EuGH: Die schrittweisen Änderungen des polnischen Gesetzes über den Landesjustizrat, die zur Folge haben, dass die effektive gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Landesjustizrats,

... mit denen dem Präsidenten der Republik Kandidaten für das Amt eines Richters am Obersten Gericht unterbreitet werden, entfallen ist, können gegen das Unionsrecht verstoßen

Der EuGH (Große Kammer) hat mit Urteil vom 2. 3. 2021 – Rs. C-824/18; A. B., C. D., E. F., G. H., I. J. gegen Krajowa Rada Sądownictwa, ECLI:EU:C:2021:153 – entschieden:

1.      Bei Änderungen der nationalen Rechtsordnung, die erstens einem nationalen Gericht seine Zuständigkeit für die Entscheidung in erster und letzter Instanz über Rechtsbehelfe nehmen, die von Kandidaten für Richterstellen an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) gegen Entscheidungen einer Einrichtung wie der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen), nicht ihre Bewerbung dem Präsidenten der Republik Polen im Hinblick auf eine Ernennung auf diese Stellen vorzulegen, sondern die anderer Kandidaten, die zweitens solche Rechtsbehelfe von Rechts wegen für erledigt erklären, wenn diese noch anhängig sind, und ausschließen, dass sie weiter geprüft oder erneut eingelegt werden können, und die damit drittens dem nationalen Gericht die Möglichkeit nehmen, eine Antwort auf die Fragen zu erhalten, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat,

–        sind Art. 267 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass sie solchen Änderungen entgegenstehen, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen die spezifische Wirkung hatten, den Gerichtshof daran zu hindern, zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen wie die ihm von diesem Gericht unterbreiteten zu beantworten, und jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft ähnliche Fragen erneut vorlegt; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts;

–        ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er solchen Änderungen entgegensteht, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der betreffenden Entschließungen der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat) vom Präsidenten der Republik Polen ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Änderungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen diese Artikel ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, die in Rede stehenden Änderungen unabhängig davon unangewendet zu lassen, ob diese gesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Natur sind, und folglich seine frühere Zuständigkeit für die Entscheidung über die vor diesen Änderungen bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten weiterhin wahrzunehmen.

2.      Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er Bestimmungen entgegensteht, mit denen die geltende nationale Rechtslage geändert wird und nach denen

–        zum einen die Entscheidung einer Einrichtung wie der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen), die Bewerbung eines Kandidaten für eine Richterstelle an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) nicht zu berücksichtigen, sondern dem Präsidenten der Republik Polen die Bewerbung anderer Kandidaten vorzulegen, auch dann in dem Teil bestandskräftig wird, mit dem die anderen Kandidaten vorgeschlagen werden, wenn der abgelehnte Kandidat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegt, so dass dieser Rechtsbehelf der Ernennung der anderen Kandidaten durch den Präsidenten der Republik Polen nicht entgegensteht und die etwaige Aufhebung der Entscheidung in dem Teil, mit dem der Rechtsbehelfsführer nicht zur Ernennung vorgeschlagen wird, nicht zu einer neuen Beurteilung der Lage des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf eine etwaige Besetzung der betreffenden Stelle führen kann, und

–        zum anderen ein solcher Rechtsbehelf nicht damit begründet werden kann, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Ernennungsvorschlags berücksichtigt werden,

wenn sich herausstellt, dass diese Bestimmungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der Entschließungen der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat) vom Präsidenten der Republik Polen ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Bestimmungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, diese Bestimmungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und die in diesen letztgenannten Bestimmungen vorgesehene Kontrolle selbst auszuüben.

(Tenor)

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