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Politiken
14.01.2021
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EuGH: Ein Unionsbürger darf nur in Abstimmung mit dem Mitgliedstaat, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt, an einen Drittstaat ausgeliefert werden

Der EuGH (Große Kammer) hat mit Urteil vom 17. 12. 2020 – Rs. C-398/19, BY/Generalstaatsanwaltschaft Berlin, ECLI:EU:C:2020:1032 – entschieden:

1. Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar sind, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, sich aber im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und Gegenstand eines von einem Drittstaat an diesen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, auch wenn der Unionsbürger seinen Lebensmittelpunkt in diesen anderen Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er noch nicht den Status eines Unionsbürgers hatte.

2. Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der gesuchte Unionsbürger besitzt, der Gegenstand eines von einem Drittstaat an einen anderen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchen ist, von diesem anderen Mitgliedstaat über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens unterrichtet worden ist, keiner dieser beiden Mitgliedstaaten verpflichtet ist, den ersuchenden Drittstaat darum zu ersuchen, ihm eine Kopie der Strafakte zu übermitteln, damit der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, die Möglichkeit der Übernahme der Strafverfolgung prüfen kann. Sofern er den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, ordnungsgemäß über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens, über sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die der ersuchende Drittstaat im Rahmen des Auslieferungsersuchens übermittelt hat, sowie über jede Änderung der Situation der gesuchten Person, die für die etwaige Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen diese Person relevant ist, informiert hat, kann der ersuchte Mitgliedstaat die gesuchte Person ausliefern, ohne abwarten zu müssen, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, eine förmliche Entscheidung erlässt, mit der er auf die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, der zumindest denselben Sachverhalt betrifft wie das Auslieferungsersuchen, gegen die gesuchte Person verzichtet, wenn dieser Mitgliedstaat einen solchen Haftbefehl nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausstellt, die ihm der ersuchte Mitgliedstaat hierfür unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls gewährt hat.

3. Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass der von einem Drittstaat um die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, ersuchte Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist.

(Tenor)

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