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Politiken
09.01.2019
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EuG: Gericht der EU gibt Klagen Paris, Brüssel und Madrid statt und erklärt VO der Kommission, in der für die Prüfungen neuer leichter Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge zu hohe Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festgelegt werden, teilweise für nichtig

EuG, Urteil vom 13. 12. 2018 – verb. Rs. T-339/16, T-352/16, T-391/16, Ville de Paris (T-339/16), Ville de Bruxelles (T-352/16), Ayuntamiento de Madrid (T-391/16) gegen Europäische Kommission, ECLI:EU:T:2018:927

Die Kommission war nicht befugt, die Euro-6-Emissionsgrenzwerte für die neuen Prüfungen im praktischen Fahrbetrieb abzuändern

Die Kommission hat in ihrer Verordnung 2016/646  Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festgelegt, die bei neuen Prüfungen im praktischen Fahrbetrieb („real driving emissions“, im Folgenden: RDE-Prüfungen) nicht überschritten werden dürfen. Diesen RDE-Prüfungen müssen die Hersteller leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge insbesondere im Zusammenhang mit der Typgenehmigung neuer Fahrzeuge unterziehen. Damit soll auf die Feststellung, dass Laborprüfungen nicht die tatsächlichen Schadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb widerspiegeln, reagiert und eine Verwendung von „Manipulationssoftware“ vereitelt werden. Die Kommission hat diese Grenzwerte festgelegt, indem sie auf die Euro-6-Grenzwerte Berichtigungskoeffizienten angewandt hat, die statistischen und technischen Ungenauigkeiten Rechnung tragen sollen. So wurde z. B. für einen Euro-6-Grenzwert von 80 mg/km der Grenzwert für die RDE-Prüfungen für eine Übergangszeit auf 168 mg/km und danach auf 120 mg/km festgelegt.

Die Städte Paris, Brüssel und Madrid beanstanden die von der Kommission festgelegten Emissionsgrenzwerte und haben jeweils Nichtigkeitsklage vor dem Gericht der Europäischen Union erhoben. Ihrer Auffassung nach durfte die Kommission diese Emissionsgrenzwerte für Stickoxide nicht festlegen, weil sie weniger streng sind als die durch die geltende Euro-6-Norm  festgelegten Grenzwerte.

In seinem heutigen Urteil führt das Gericht zu der – von der Kommission bestrittenen – Zulässigkeit der Klagen aus, dass eine Nichtigkeitsklage, die von einer Person, die kein Mitgliedstaat oder Unionsorgan ist, gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter erhoben wird, u. a. dann zulässig ist, wenn dieser Akt den Kläger unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahme nach sich zieht. Das Gericht stellt fest, dass der angefochtene Rechtsakt für die klägerischen Städte gilt, ohne dass Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären, und dass bereits entschieden wurde, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts unmittelbar in ihrer Rechtsstellung beeinträchtigt wird, wenn ein Unionsrechtsakt sie daran hindert, die ihr zustehenden Befugnisse so auszuüben, wie sie es für richtig hält. Dies gilt dem Gericht zufolge insbesondere dann, wenn sie in ihren Regulierungsbefugnissen eingeschränkt wird. Das Gericht prüft, ob diese unmittelbare Betroffenheit hier tatsächlich vorliegt, und bejaht dies, da die drei Städte in Ausübung ihrer Befugnisse im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes bereits Maßnahmen zur Begrenzung des Autoverkehrs erlassen haben, um die auf ihrem Gebiet festgestellte Luftverschmutzung zu bekämpfen. Das Gericht prüft ferner, ob die Verkehrsbeschränkungen, die von mitgliedstaatlichen Behörden im Zusammenhang mit den Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen erlassen wurden, insoweit gegen die unionsrechtlichen Vorgaben verstoßen, als sie für Fahrzeuge gelten, die die jüngsten Normen und Grenzwerte einhalten, und stellt fest, dass dies der Fall ist. Die Städte Paris, Brüssel und Madrid können daher die von der Kommission für die RDE-Prüfungen festgelegten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide anfechten, weil sie die Fahrzeugtypen, die diese Prüfungen bestehen und die sonstigen Anforderungen im Zusammenhang mit der Typgenehmigung erfüllen, nicht in eine auf Schadstoffemissionen gestützte Verkehrsbeschränkungsmaßnahme einbeziehen dürften.

Zur Frage der Zuständigkeit der Kommission für den Erlass von Maßnahmen bezüglich der Emissionsgrenzwerte für Stickoxide im Rahmen der RDE-Prüfungen führt das Gericht aus, dass diese Maßnahmen als Durchführungsmaßnahmen zur Verordnung Nr. 715/2007 erlassen wurden, und zwar auf der Grundlage der Verordnungsbestimmungen, die es der Kommission erlauben, die besonderen Verfahren, Prüfungen und Anforderungen für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen festzulegen.

Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass die für die Euro-6-Norm festgelegten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide eine wesentliche Bestimmung dieser Verordnung darstellen, die die Kommission nicht abändern kann, und dass die Verordnung vorsieht, dass diese Grenzwerte im praktischen Fahrbetrieb und damit bei den RDE-Prüfungen eingehalten werden müssen. Das Gericht schließt daraus, dass die Kommission diese Grenzwerte für die RDE-Prüfungen nicht abändern durfte, indem sie Berichtigungskoeffizienten anwandte. Es stellt außerdem fest, dass sich, selbst wenn anzunehmen wäre, dass technische Zwänge eine gewisse Anpassung – mit einer Abweichung wie der sich aus der angefochtenen Verordnung ergebenden – rechtfertigen können, unmöglich feststellen ließe, ob die Euro-6-Norm bei diesen Prüfungen eingehalten wird. Das Gericht präzisiert, dass die festgestellte Unzuständigkeit der Kommission zwangsläufig bedeutet, dass ein Verstoß gegen die Verordnung Nr. 715/2007 vorliegt.

Zum Umfang der Nichtigerklärung der Maßnahmen in der von der Kommission erlassenen Verordnung 2016/646 führt das Gericht aus, dass nur die Bestimmung für nichtig zu erklären ist, in der die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festgelegt werden, nicht aber die anderen Bestimmungen der Verordnung, in denen festgelegt ist, unter welchen Bedingungen die RDE-Prüfungen durchzuführen sind. Zur zeitlichen Wirkung der Nichtigerklärung stellt der Gericht fest, dass der Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt sowie der Schutz der Interessen der Verbraucher und der Autohersteller es in Anbetracht der Rechtsunsicherheit, die sich bis zum Erlass einer neuen Verordnung einstellen könnte, rechtfertigen, die Wirkungen der für nichtig erklärten Bestimmung für die Vergangenheit und für einen angemessenen Zeitraum, der auf zwölf Monate ab dem Ablauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das vorliegende Urteil oder, wenn ein Rechtsmittel eingelegt wird, ab dessen Zurückweisung begrenzt ist, aufrechtzuerhalten, um eine Änderung der einschlägigen Regelung zu erlauben.

Schließlich stellt das Gericht zum Antrag der Stadt Paris auf Schadensersatz in Höhe von einem symbolischen Euro für den Image- und Legitimationsschaden fest, dass dieser Schaden nicht nachgewiesen ist und die Nichtigerklärung der beanstandeten Bestimmung jedenfalls einen hinreichenden Ersatz darstellt.

(Pressemitteilung Nr. 198/18)

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