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Politiken
02.03.2023
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EuGH-Schlussanträge: Trinkwasserpolitik: Nach Auffassung von GAin Medina sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Zulassung eines Vorhabens abzulehnen, wenn es zur Verschlechterung der Qualität eines Wasserkörpers führen kann

GAin Medina schlägt dem Gerichtshof vor, auf die vom Verwaltungsgericht Cottbus (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten [Schlussanträge v. 2.3.2023 – Rs. C-723/21; Stadt Frankfurt (Oder), FWA Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH gegen Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe; ECLI:EU:C:2023:152]:

Frage 1: Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik ist dahin auszulegen, dass die juristischen Personen, denen nach nationalem Recht die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser obliegt, oder die Personen, die mit der Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser betraut worden sind, befugt sind, zu verlangen, dass eine zuständige Behörde, die für die Zulassung eines Vorhabens verantwortlich ist, das sich potenziell nachteilig auf den in der Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch vorgeschriebenen Umfang der Trinkwasseraufbereitung auswirken kann, die in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 vorgesehenen Verpflichtungen einhält. Erforderlichenfalls können solche juristischen Personen hierfür Klage vor einem zuständigen Gericht erheben.

Frage 2: Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 enthält insofern ein Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität, als die Genehmigung eines konkreten Vorhabens, das zu einer solchen Verschlechterung führen kann, einen Mitgliedstaat daran hindert, der Pflicht zur Verringerung des Umfangs der für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Aufbereitung nachzukommen. Zu den notwendigen Schutzmaßnahmen gehört die verbindliche Pflicht der Mitgliedstaaten, konkrete Vorhaben, die sich nachteilig auf die Qualität ermittelter, für die Trinkwassergewinnung genutzter Wasserkörper auswirken können, vorab zu prüfen, und zwar unabhängig davon, welche Art von Wasser in solchen Wasserkörpern vorhanden ist. Diese Pflicht gilt unabhängig davon, ob sich der betreffende Wasserkörper innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2000/60 befindet.

Fragen 3 und 4: Eine Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 liegt vor, wenn ein Vorhaben geeignet ist, die in der Richtlinie 98/83 festgelegten Parameter zu überschreiten. In einem Fall, der einen in Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 aufgeführten Schadstoff betrifft, begründet eine solche Überschreitung eine Verschlechterung jedoch nicht allein auf der Grundlage des für einen Schadstoff wie Sulfat festgelegten Wertes. In solch einem Fall muss, um eine Verschlechterung der Wasserqualität im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 feststellen zu können, ein Risiko für die menschliche Gesundheit bestehen, und infolgedessen muss zur Vermeidung eines solchen Risikos eine Anpassung des Aufbereitungsverfahrens notwendig sein. Im Fall eines Schadstoffs, in Bezug auf den Zweifel hinsichtlich seiner nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bestehen, kann der ermittelte Parameterwert wie derjenige, der für Sulfat festgelegt ist, als Indikator für eine präventive Einschätzung zur Feststellung von Risiken für die Verschlechterung der Wasserqualität gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 dienen.

Fragen 5, 6 und 7: Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 ist dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde verpflichtet ist, während des Planfeststellungsverfahrens – und damit, bevor die eigentliche Zulassungsentscheidung getroffen wird – zu prüfen, ob das betreffende Vorhaben die Einhaltung der nach dieser Vorschrift bestehenden Pflichten beeinträchtigen kann. Nach dieser Vorschrift ist es nicht zulässig, dass eine solche Prüfung erst nach der Zulassungsentscheidung erfolgt.

Fragen 8 und 9: Nach Erhalt der Beurteilung gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 hat die zuständige Behörde zur Entscheidung darüber, ob sie ein Vorhaben zulässt oder nicht, eine Interessenabwägung in Form des in Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Prüfungsmaßstabs durchzuführen, sofern ein Sachverhalt vorliegt, der den Zustand von durch das Vorhaben beeinträchtigten Wasserkörpern betrifft. Für andere Vorhaben, die Pflichten gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2000/60 berühren, aber nicht den Zustand von Wasserkörpern beeinträchtigen, hat diese Behörde eine solche Interessenabwägung im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchzuführen, um festzustellen, ob das Verbot der Verschlechterung der Wasserqualität nach Art. 7 Abs. 3 durch das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel überwunden werden kann. Dies ist nur kurzfristig möglich (sofern langfristig die Einhaltung von Art. 7 Abs. 3 wiederhergestellt wird), und zwar dann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens ist der erforderliche Aufbereitungsaufwand gering und wird im Laufe der Zeit abnehmen, zweitens ist das Vorhaben von besonderer Bedeutung, und es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, drittens werden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die nachteiligen Auswirkungen auf die Pflichten nach Art. 7 Abs. 3 im Laufe der Zeit abzumildern, und viertens bereitet das Vorhaben dem Mitgliedstaat keine ernsten Schwierigkeiten bei der Sicherstellung von Trinkwasser, das den Anforderungen der Richtlinie 98/83 entspricht.

Frage 10: Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/60 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung, wie auch Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie, Pflichten enthält, die über diejenigen hinausgehen, auf die Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i oder Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie Bezug nimmt, was im Rahmen eines Vorhabenzulassungsverfahrens zu berücksichtigen ist. Insbesondere kann ein Vorhaben nur zugelassen werden, wenn es ein Bündel notwendiger Maßnahmen enthält, mit dem sichergestellt wird, dass die Einhaltung der Richtlinie 98/83 nicht beeinträchtigt wird.

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