Ausgleichsteuer für digitale Wertschöpfung – Eine neue Runde im globalen Steuerwettbewerb?
Die Finanzminister von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien haben eine gemeinsame Initiative zur Einführung einer sogenannten “Equalisation Tax” (Ausgleichsteuer) vorgestellt. Der Vorschlag zielt auf eine Besteuerung der digitalen Wertschöpfung globaler Konzerne in Europa und somit insbesondere auf eine höhere Besteuerung von in Europa erzielten Gewinnen der US-Internetriesen ab.
Politik und Öffentlichkeit kritisieren seit Längerem, dass die großen Internetkonzerne aus den USA durch ihre digitale Geschäftstätigkeit in Europa hohe Gewinne erzielen, die europäischen Staaten jedoch steuerlich nur in zu geringem Umfang an dieser Wertschöpfung teilhaben. Über die Gründe einer “ungerechten” Verteilung wird gestritten. Weit verbreitet ist die Meinung, die betreffenden globalen Konzerne würden eine angemessene Besteuerung durch kreative Steuergestaltung vermeiden. Diese Sichtweise übersieht jedoch, dass die kritisierte Steuergestaltung der Unternehmen erst durch den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten ermöglicht und sogar gefördert wurde.
Den Steuerwettbewerb in geordnete Bahnen zu lenken, war ein Hauptziel der BEPS (Base Erosion and Profit Shifting)-Initiative der OECD, zu der im Jahr 2015 Abschlussbericht und Empfehlungen veröffentlicht wurden. Die Staaten einigten sich hierin auf einen künftigen “fairen” Steuerwettbewerb, in dem unter anderem Patentboxen und hybride Gestaltungen eingeschränkt, aber auch der Betriebsstättenbegriff fortentwickelt werden sollte. Vor diesem Hintergrund mag das Bekanntwerden der jetzigen Initiative einer europäischen Ausgleichsteuer so verhältnismäßig kurz nach dem vorläufigen Abschluss der BEPS-Diskussionen überraschen. Wurden die bestehenden systematischen “Mängel” bei der Erfassung der digitalen Wertschöpfung im Rahmen von BEPS nicht erkannt oder waren sie damals schlicht nicht konsensfähig?
Das grundsätzliche Problem, an dem auch BEPS nichts ändert, besteht darin, dass das Besteuerungsrecht für Ertragsteuern regelmäßig an eine feste Niederlassung oder physische Präsenz in dem betreffenden Staat anknüpft. Diese Grundsätze sind über Jahrzehnte etabliert, wurden aber im Ertragsteuerrecht – anders als bei der Umsatzsteuer für elektronische Dienstleistungen – nie wirklich an die geänderten Rahmenbedingungen in der digitalen Welt angepasst. Frankreich musste jüngst eine Niederlage einstecken und konnte sich mit seiner Ertragsteuerforderung über mehr als 1,1 Mrd. Euro gegenüber Google betreffend Erlöse aus dem Verkauf von Werbung im französischen Markt vor Gericht nicht durchsetzen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass Frankreich als der wesentliche Treiber hinter der Ausgleichsteuer gilt.
Die Finanzminister der EU (Ecofin) haben kürzlich anlässlich eines informellen Treffens am 16.9.2017 die Herausforderungen der Besteuerung der digitalen Wertschöpfung erörtert. Auch wenn sich weitere Staaten der Initiative der vier “Initiatoren” angeschlossen haben, hat sich gezeigt, dass die Skepsis gegenüber den Plänen weit verbreitet ist. Eine Befürchtung ist, Europa im globalen Wettbewerb um innovative Unternehmen zu beschädigen oder letztlich lediglich eine Verteuerung der digitalen Produkte für den Konsumenten zu bewirken – schließlich würde die Ausgleichsteuer wirtschaftlich ähnlich wie eine zusätzliche Umsatzsteuer wirken.
Die größte Gefahr dürfte aber darin bestehen, durch eine europäische Digital-Steuer den globalen Steuerwettbewerb neu zu entfachen – also das, was man durch BEPS gerade versuchte einzuschränken. In Zeiten, in denen in den USA über eine Steuerreform diskutiert wird, die auf eine deutliche Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes bei gleichzeitiger Erhöhung des in den USA zu versteuernden Gewinns setzt, ist nicht auszuschließen, dass eine Ausgleichsteuer als zielgerichtete Maßnahme Europas gegen die US-Internetunternehmen aufgefasst würde und ähnliche Maßnahmen gegen europäische und insbesondere auch deutsche Konzerne provoziert. Unbegründet sind diese Befürchtungen nicht, ist doch der Anteil der von deutschen Unternehmen in Deutschland gezahlten Steuern regelmäßig deutlich höher als es der Anteil des deutschen Umsatzes an den weltweiten Erlösen vermuten ließe. Eine jüngst veröffentlichte Studie des BDI und des Verband der Chemischen Industrie kommt anhand der Daten von elf Unternehmen zu dem Ergebnis, dass deren in Deutschland erzielter Umsatz im Schnitt lediglich zwischen 18 und 20 % des globalen Gesamtumsatzes, der Anteil der deutschen Ertragsteuern an der Gesamtsteuer weltweit aber 46 bis 60 % betrug! Damit stellen sich für Deutschland und deutsche Unternehmen im Hinblick auf eine mögliche Ausgleichsteuer vergleichbare Probleme und Risiken wie sie auch in Bezug auf viele BEPS Action Items diskutiert werden. Könnten hiesige Unternehmen die Leidtragenden eines Steuerwettbewerbs zwischen den USA (oder anderen Staaten) und der EU sein? Warum sollten andere Staaten nicht spiegelbildlich einen höheren Anteil am Steuerkuchen europäischer Konzerne einfordern? Schlecht wäre eine Lösung zu Lasten der deutschen Unternehmen, die im Ergebnis den Steuerkuchen vergrößert, damit alle Staaten satt werden.
Der Ecofin hat die EU-Kommission beauftragt, bis Ende 2017 detailliertere Konzepte zu erarbeiten. Neben der eher kurzfristigen Möglichkeit eines Sonderwegs der EU mit der Einführung einer Ausgleichsteuer, befürworten eine Reihe von EU-Staaten eine abgestimmte Lösung auf OECD-Ebene in Gestalt einer globalen Besteuerung “digitaler Betriebsstätten”. Ob eine solche globale Initiative auch die Unterstützung der USA findet, darf derzeit bezweifelt werden.
Eines ist sicher, der internationale Steuerwettbewerb ist auch in der Post-BEPS-Ära nicht vorüber. Vielleicht hat die EU durch ihre Initiative zur Einführung einer Ausgleichsteuer sogar eine neue Runde im Steuerwettbewerb eingeläutet.
Dr. Bodo Bender ist Rechtsanwalt und Partner bei White & Case LLP in Frankfurt am Main. Er berät vorwiegend deutsche und multinationale Unternehmen bei grenzüberschreitenden Transaktionen und Fragen der internationalen Steuerplanung.