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BB 2017, I
Graf von Westphalen 

Big Data und das Ende der bürgerlichen Freiheit?

Abbildung 1

Der Titel dieses Editorials bezieht sich auf ein neues Buch, das keineswegs dem Arsenal des Kulturpessimismus zuzuweisen ist. Es heißt “Das Ende der Demokratie”, hat aber im Gegensatz zur Überschrift kein Fragezeichen. Verfasser ist Yvonne Hofstetter, Juristin und Geschäftsführerin einer renommierten IT-Gesellschaft: Eine in allen Fragen der Digitalisierung höchst kundige Expertin. Vor zwei Jahren schrieb sie das Buch “Sie wissen alles”. Das “sie” – das sind die Internetgiganten des Silicon Valley: Google sieht alles, Apple hört alles und die NSA weiß alles.

Big Data übermittelt uns ständig – “kostenlos” – “Informationen”. Doch sie sind immer das Resultat unserer ihnen überlassenen und verarbeiteten personenbezogenen Daten. Mit immer größerer Präzision lässt das so erstellte “Profil” auf Grund der Kenntnis unserer Vergangenheit Vorhersagen zu, wie wir uns künftig verhalten werden. Big Data kennt unsere Neigungen und Vorlieben, unsere Interessen und auch unsere Schwächen und Fehler. Doch diese Großrechner sind es letzten Endes, die mehr und mehr unsere Selbstautonomie und damit den Urgrund unserer Freiheit usurpieren. Die virtuelle Welt vermischt sich mit der realen: Das “like it” der “Freunde” und der “followers” in der “community” entfaltet in der Realität der sozialen Medien ein Schwarmverhalten. Die jeweilige Nachricht als sein Auslöser ist praktisch austauschbar; es gilt das Gerücht genauso viel wie die wahre Tatsache; die Ergebnisliste der Suchmaschine gibt das Maß vor.

Die über jeden Zweifel des Kulturpessimismus erhabene englische Wochenzeitschrift “The Economist” hat – im Blick auf den Wahlkampf von Donald Trump, aber auch auf den “BREXIT” – kürzlich die für unsere freiheitliche Demokratie entscheidende Frage gestellt. “Art of the lie” hieß die Titelgeschichte und sie stellte fest, dass das Zeitalter der “post-truth politics” – das ist ein anderes Wort für das “Ende der Demokratie” – eingeläutet worden sei. Das Wort “postfaktisch” wurde zum Wort des Jahres.

Da tut es not, sich daran zu erinnern, dass Karl Jaspers, der als politischer Philosoph die Bonner Demokratie stets kritisch begleitete, vor Jahrzehnten schon die Frage gestellt hat, ob wir denn “richtig informiert” werden. Eine Schicksalsfrage. Denn eine freiheitliche Demokratie kann nur dann prosperieren, wenn der öffentliche Diskurs immer aufs Neue die Frage nach der Wahrheit der Tatsachen verlässlich stellt und sie auch beantwortet, vor allem die Fragen, welche neu herauf brechende politische Herausforderungen betreffen. Auch Politiker selbst dürfen nie davon absehen, dass sich das Vertrauen des Bürgers in der repräsentativen Demokratie – und damit das stets nur auf Widerruf begründete Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und gewähltem Mandatar – aufs engste mit der Frage verbindet, ob denn die politischen Erklärungen und Versprechen glaubhaft und wahr sind und daher auch eingehalten werden.

Wenn aber mehr und mehr – als Folge der um sich greifenden Digitalisierung – Maschinen, deren maßgebende Algorithmen wir nicht kennen, unsere Handlungsmuster beeinflussen, dann stellt sich – darauf hat jetzt Yvonne Hofstetter in ihrem Buch mit höchster Sachkunde hingewiesen – die Frage, ob wir tatsächlich unsere Freiheit als Demokraten in die Hände einer Maschine legen wollen. Wenn nämlich diese Befürchtung auch nur halbwegs wahr ist, dann gilt die Gleichung: Immer und ohne Vorbehalte zielt dann “Politik” eines baldigen Tages – abseits einer Entscheidung im repräsentativen Mandat – nur noch – gestützt durch die Kommunikation in den “sozialen Medien” – darauf ab, das zu realisieren, was der Bürger gespeichert im Code der Maschine angeblich will: Die Messwerte der Überwachung entscheiden; und die Manipulation ist ihr Begleiter.

Denn keiner kennt das Geheimnis des dem Code der Maschine zugrunde liegenden personalisierten Algorithmus – außer “Big Data” im Silicon Valley. So werden im virtuellen Konzert der Meinungen Freundschaften und Nachbarschaften, aber auch der Wähler selbst ständig instrumentalisiert. Ob Werbung oder Politik, es macht für den Großrechner keinen Unterschied: “Verhaltensprofil” ist das neue Schlüsselwort. Die Verteilung des Herrschaftswissens ist damit eindeutig. Kein Bürger kann mehr mit hinreichender Verlässlichkeit sagen, ob denn der Wunsch einer Mehrheit oder die Erwartungshaltung der Minderheit, die Angst oder die Ablehnung der Wähler zutreffend und wahr oder manipuliert sind. Die Mathematik ist in ihr Recht getreten. Und die Beherrschung ihrer Gesetze bedeutet politische Macht. Einen “gate keeper” für die Wahrheit der politischen Information kennt sie nicht mehr.

Schon jetzt hat sich die digitale Welt weitgehend den Gesetzen des Rechts entzogen. Wolfgang Hoffmann-Riem, der ehemalige Verfassungsrichter, sagt in seiner soeben erschienenen Monographie über “Innovation und Recht” im Blick auf ihre Gefahren sehr ernüchtert: “Das Recht allein hat nicht die Kraft, das Notwendige zu erreichen”. Das “Notwendige” muss aber dies sein: Allein der Mensch, nicht die Maschine muss wieder in sein Recht entsprechend seinem Würdeanspruch treten. Das Humanum hat uneinholbar den Vorrang. Denn die Basis jeder freiheitlichen Demokratie ist nicht die Manipulation des Wählers durch eine noch so intelligente Maschine, sondern nur der mit Autonomie ausgestattete Mensch in seiner freien Entscheidung. Es ist der “alte Adam”, wie ihn Gustav Radbruch einst nannte, als er der Frage nach dem “Bild des Menschen im Recht” nachspürte.

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, RA und Namenspartner der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Köln, Frankfurt, Freiburg, Alicante, Brüssel. Seit 1998 Lehrbeauftragter, seit 2004 Honorarprofessor der Universität Bielefeld. Mitglied des Herausgeberbeirats von ZIP, EWiR sowie im Beirat des BB. Vorsitzender des Ausschusses “Europäisches Zivilrecht” beim CCBE.

 
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