Den “Bewerber im Sack” einstellen?
Es besteht Einverständnis darüber, dass von den in § 1 AGG geschützten Merkmalen das Merkmal “Alter” speziell im arbeitsrechtsrechtlichen Zusammenhang (§ 7 Abs. 1 AGG) – schon bei der Personalgewinnung – praxisrelevant werden wird, zumal insoweit – anders als bei den Merkmalen “Geschlecht” und “Behinderung” – keine Rechtspraxis vorhanden ist. Die verbreitet gegebene Empfehlung, tunlichst auf Altersangaben in Stellenausschreibungen und auf die Angabe des Geburtsdatums im Personalfragebogen zu verzichten und auch sonst nicht nach dem Alter eines Bewerbers zu fragen, ist daher grundsätzlich vernünftig. Das kann von bestimmten Empfehlungen, die – u. a. von Anwälten – auf den überaus zahlreichen Veranstaltungen zum AGG gegeben werden, die jetzt allenthalben stattfinden, leider nicht mehr gesagt werden.
Relativ harmlos ist noch folgender Punkt: In Ausbildungs- und Arbeitszeugnissen ist regelmäßig das Geburtsdatum des Betreffenden angegeben. Hierzu empfehlen manche Anwälte, in der Ausschreibung den Bewerber zu bitten, keine Unterlagen einzureichen, die das Geburtsdatum enthalten. Bei Missachtung sollten die Unterlagen dem Bewerber zurückgesandt werden mit der Bitte um erneute Bewerbung ohne Hinweis auf das Geburtsdatum. Das erscheint als übertriebene Vorsicht. Es ist ein Unterschied, ob der Arbeitgeber das Alter thematisiert oder der Bewerber es ungefragt angegeben hat. Außerdem: Wenn der Bewerber zunächst Unterlagen mit Geburtsdatum einreicht, kennt der Arbeitgeber dieses. Daran ändern die Rücksendung und die erneute Bewerbung, dieses Mal mit Unterlagen ohne Geburtsdatum, nichts mehr.
Es geht aber noch weiter. Auch ohne Kenntnis des Geburtsdatums eines Bewerbers lassen sich Rückschlüsse auf sein (ungefähres) Alter aus Angaben zur Dauer einer Ausbildung und der bisherigen Arbeitsverhältnisse in Ausbildungs- und Arbeitszeugnissen ziehen. Muss daher auf diese Daten auch verzichtet werden? Ein Blick in das AGG spricht dagegen. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Das ist der allgemeine Grundsatz. Noch konkreter regelt § 10 AGG, dass ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig ist, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein und können insbesondere Folgendes einschließen: “. . . 2. Die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile . . .”.
Für die Personalpraxis ist das tägliches Brot. Häufig – vor allem bei anspruchsvolleren Stellen – gehört zum Anforderungsprofil eine praktische Berufserfahrung bestimmter Art und bestimmter Dauer. Um insoweit die Eignung eines Bewerbers prüfen zu können, müssen entsprechende Ist-Daten vorliegen, also die exakte Dauer und die zeitliche Lage (Beginn und Ende) entsprechender Beschäftigungsverhältnisse, die auch zu Punkten nach einer Auswahlrichtlinie gem. § 95 BetrVG führen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ein Bewerber über für die Stelle notwendige Berufserfahrung von einem oder von zehn Jahren verfügt. Auch tarifliche Eingruppierungsregeln bis hin zu den in der Umsetzungsphase befindlichen ERA in der Metallindustrie verlangen für die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe häufig eine einschlägige Berufserfahrung bestimmter Dauer.
Es spricht alles dafür, dass der Arbeitgeber nach wie vor ein berechtigtes Interesse an vollständigen und zutreffenden Informationen über Ausbildungsdauer und Dauer von Arbeitsverhältnissen hat (s. auch LAG Köln, 19. 11. 1995, NZA-RR 1996, 403). Anders ist eine objektive und ausreichend fundierte Auswahl nicht möglich.
Und dennoch: Von denjenigen, die den Verzicht auf die Kenntnis des genauen Alters (Geburtsdatum) empfehlen, wird gleichzeitig der Verzicht auf Angaben über Ausbildungszeiträume und Berufserfahrung und damit letztlich der Verzicht auf Zeugnisse empfohlen. Stattdessen soll der Bewerber gefragt werden, ob er in der Lage sei, die beschriebene Stelle auszufüllen.
Möglicherweise haben hier Erfahrungen aus den USA eine Rolle gespielt, wo es offenbar verbreitete Praxis ist, zunächst auf die mündlichen Angaben des Bewerbers zu vertrauen und den Arbeitsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung abzuschließen, dass der Bewerber (wann?) die Originalzeugnisse vorlegt. Das erscheint aber einmal unpraktikabel (was soll, wenn sich das hinzieht, mit anderen interessanten Bewerbern so lange geschehen?) und ist zudem mit dem Verfahren der BR-Beteiligung nach § 99 BetrVG nicht in Einklang zu bringen.
Auch der Wunsch, Arbeitgeber vor möglichen Risiken zu warnen, legt die Empfehlung m. E. nicht zwingend nahe. Eher sehe ich die Gefahr, dass eine derart enge Interpretation von Arbeitgeberinteressen bei der Stellenbesetzung durch Anwälte, die (eigentlich) eher der Arbeitgeberseite nahe stehen, die Rechtsprechung beeinflussen wird. Von Anwälten wird nicht selten “vorauseilender Gehorsam” des BAG gegenüber dem EuGH beklagt. Ist es nicht “vorauseilender Gehorsam”, wenn in diesem Zusammenhang für die Praxis hoch bedeutsame Arbeitgeberpositionen im Voraus kampflos geräumt werden?
Dr. Wolf Hunold, Neuß