R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
BB 2019, I
Battis 

Die Enteignung großer Wohnungskonzerne – ein probates Mittel gegen Wohnungsnot?

Abbildung 1

Das Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co. enteignen” agiert unter falscher Flagge. Ziel ist nicht eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG, sondern eine Vergesellschaftung = Sozialisierung von Grund und Boden, gem. Art. 15 GG. Es geht nicht um ein traditionsreiches, durch Gesetze und Rechtsprechung eingehegtes Instrument der staatlichen Güterbeschaffung für gemeinwohlverwirklichende (Infrastruktur-)Vorhaben, sondern um eine in der Bundesrepublik Deutschland bisher nie (auch nicht in der Finanzkrise anlässlich der Bankenrettung) praktizierte Alternative zur sozialen Marktwirtschaft. Art. 15 GG ist unstrittig nicht durch Nichtanwendung außer Kraft getreten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur unternehmerischen Mitbestimmung die Offenheit des Grundgesetzes für Alternativen betont. Auch Europarecht steht der Sozialisierung nicht entgegen. Erinnert sei nur an die Sozialisierung der Banken in Frankreich.

Der Versuch, vermittels Art. 142 GG aus Art. 23 der Berliner Verfassung – Grundrechtsschutz des Eigentums – ein Sozialisierungsverbot abzuleiten, überzeugt nicht angesichts von Art. 31 GG – Bundesrecht bricht Landesrecht – und der Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshof zu Art. 23 Berliner Verfassung, ganz zu schweigen von Art. 24 Berliner Verfassung: “Jeder Missbrauch wirtschaftlicher Macht ist widerrechtlich.” Bei der Ausgestaltung der Sozialisierung lässt Art. 15 GG Spielräume: “oder andere Formen der Gemeinwirtschaft”. Ein Rückgriff auf das Übermaßverbot scheidet aus. Die Sozialisierung ist anders als die Enteignung, gerade nicht verfassungsrechtlich Ultima Ratio, sondern eine politische Alternative, ohne die im Parlamentarischen Rat keine Mehrheit für das Grundgesetz zustande gekommen wäre. Für die Auswahl der vergesellschaftenden Unternehmen gilt lediglich die Willkürgrenze.

Gewisse Spielräume eröffnet der Verweis von Art. 15 S. 2 GG auf Art. 14 Abs. 3 GG zur Höhe der Entschädigung, die aber von den Initiatoren des Volksbegehrens stark übertrieben werden. Die Initiatoren übersehen, dass auch für die Enteignung der normativ eingegrenzte Verkehrswert gilt, den das Bundesverfassungsgericht gegen die frühere großzügigere Rechtsprechung des BGH durchgesetzt hat. Ob die vom Berliner Senat errechnete Höhe der Entschädigung 36 Mrd. Euro oder 28,8 Mrd. Euro beträgt zzgl. 1,5 bis 1,9 Mrd. Euro Transaktionskosten ist angesichts der ab 2020 geltenden Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3, 143d GG) und vor allem der Vorgaben für den Stabilitätsrat (Art. 109a GG) letztlich unerheblich. Vom Senat errechnete laufende Kosten pro Jahr zwischen 100–340 Mio. Euro reißen schon die verfassungsrechtlich vorgegebene Latte, selbst wenn die kreditfinanzierte “Entschädigung” aus dem Haushalt ausgegliedert würde.

Sollte – wie von Moody angekündigt – (als Folge der Initiative) das Rating für Berlin heraufgesetzt werden, schössen die Kosten zusätzlich in die Höhe. Der wirtschaftliche Aufschwung Berlins würde abgewürgt und keine einzige neue Wohnung gebaut.

Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein und zu einem Volksentscheid führen – was sehr wahrscheinlich ist – begänne erst das Gesetzgebungsverfahren. Die Initiatoren des Volksbegehrens haben selbst keinen Gesetzesentwurf vorgelegt. Deshalb müsste das Berliner Abgeordnetenhaus über die von der Berliner Verwaltung zu erstellende Gesetzesvorlage zur Sozialisierung entscheiden. Angesichts der verfassungswidrigen finanziellen Folgen bliebe den Abgeordneten keine andere Wahl, als das Begehren abzulehnen. Im Übrigen ist es politisch außerordentlich naiv zu glauben, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen würden – wie auch immer der Finanzausgleich gestaltet wird – sich bereitfinden, die Einführung des Sozialismus in Berlin zu finanzieren. Nach einer am 4. April 2019 in der Tagespresse veröffentlichten bundesweiten Meinungsumfrage lehnen über 70 % der Befragten das Berliner Abenteuer ab.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Battis ist Of Counsel der Kanzlei GSK Stockmann am Standort Berlin. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehört neben dem öffentlichen Bau-, Planungs- und Raumordnungsrecht auch das Verfassungsrecht. Er ist seit 2011 Emeritus der Juristischen Fakultät, Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verwaltungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

 
stats