Was ist eine IP-Adresse?
Prof. Dr. Alexander Golland Schriftleitung Datenschutz-Berater
Wenn Sie den Titel dieses Editorials lesen, denken Sie vermutlich direkt an Zahlen. Sie denken an so etwas wie 134.147.64.10. Vielleicht kommt Ihnen die alte Diskussion über den Personenbezug von IP-Adressen und die Differenzierung zwischen statischen und dynamischen IPv4-Adressen in den Kopf, die getrost seit der Breyer-Entscheidung des EuGH als „kalter Kaffee“ bezeichnet werden kann. Oder Sie denken an die Beschränkung auf 2 hoch 32 IP-Adressen (also „nur“ 4.294.967.296) und direkt an IPv6.
Als Leser oder Leserin unseres Hefts sind Sie – so vermute ich – zwischen 30 und 60 Jahren alt. Sie haben wahrscheinlich eine technische, juristische oder betriebswirtschaftliche Ausbildung genossen. Sie wissen, wie TCP/IP funktioniert, Sie kennen vielleicht noch IPX, Sie wissen, dass ich diese Zeilen in einem Word-Dokument schreibe, das ich per E-Mail an unseren Verlag sende. Damit diese E-Mail ihren Weg findet, wird der Hostname mittels DNS aufgelöst. Et voilà: die IP des Empfangsservers ist da. Das ist alles nichts Neues für Sie, Sie kennen auch noch Disketten (ein Gegenstand, der von jungen Menschen mit viel Glück noch irgendwie mit der Computerwelt assoziiert wird). Warum weiß ich all das? Datenschutz ist eine Querschnittsmaterie, die auch technische Kompetenzen – jedenfalls ein Grundlagenwissen – erfordert.
Gerade diese Kompetenzen scheinen aber verloren zu gehen: Einige junge Menschen, die heute um die 20 sind, haben weder Computer noch Notebook. Nicht aus Mittellosigkeit, sondern weil Ihnen das iPhone ausreicht. Statt umfangreicher Programme, mit denen man individuell passende Ergebnisse erzielt, gibt es für jeden Handgriff eine Smartphone-App, die nur eine Handvoll vordefinierter Aktionen aufweist. Diese scheinbare Vereinfachung stützt zugleich die Gewöhnung an den Gedanken „was meine App nicht kann, das geht auch nicht“. Die technische Bewältigung des Alltags setzt sich in der Schule fort, die inzwischen mit simpelsten und farbenfrohen Apps zu bewältigen ist. Dass jedes erstellte Dokument aussieht wie Kraut und Rüben, ist egal – sie sehen ja ohnehin alle gleich aus. Offenbar folgt auf das Zeitalter der Digitalisierung das der digitalen Analphabetisierung.
Diese Versäumnisse kommen inzwischen im Arbeitsalltag an, und ich fürchte, die „volle Breitseite“ bekommen wir erst in einigen Jahren zu spüren, wenn die Generation Z vollständig in den Arbeitsmarkt drängt. Ich musste schmunzeln, als ich einmal in einem früheren Job gefragt wurde, was denn die Enter-Taste sei und wie man Papier in einen Drucker lege. Das Lachen über die digitale Unmündigkeit vergeht aber spätestens den Mandanten: Anwälte, die mit 26 Jahren erstmals PowerPoint nutzen und die erstellten drei Slides vierstellig berechnen, sind kein seltenes Phänomen.
Zurück zur Frage: Was eine IP-Adresse ist, konnten mir jüngst in meiner Vorlesung Datenschutzrecht keine 5 % der Teilnehmer beantworten. Das muss sich – sofort – ändern. Aufgaben in der Schule müssen als digitale Herausforderungen gelebt werden, die es durch individuelle Anwendung von Problemlösungskompetenzen zu bewältigen gilt. Wir können junge Menschen nicht dazu zwingen, sich in ihrer Freizeit mit Technik zu befassen und sollten dies auch nicht. Dennoch müssen wir die Anforderungen des Arbeitsmarkts adressieren, indem wir in der Schule und wo immer es geht Kompetenzen fördern und Interesse wecken.
Know-how ist wichtiger denn je. Packen wir’s gemeinsam an.
Ihr
Alexander Golland