Uploadfilter: Kreative Insolvenz versus Tod des freien Netzes
Das Europäische Parlament beschäftigt sich seit Ende 2016 mit einem Rechtsakt, der zwar nur 24 Artikel lang ist, aber umso mehr Zündstoff in sich trägt: die EU-Urheberrechtsrichtlinie.
Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben pro Artikel durchschnittlich über 100 Änderungsanträge im Laufe der diversen Ausschussdebatten eingereicht. Im federführenden Rechtssauschuss wurden allein über 1000 Änderungsanträge gestellt. Kein einfacher Job für den Berichterstatter Axel Voss, MdEP. Seinen Berichtsentwurf hat der Rechtsausschuss am 20. 6. nur mit Ach und Krach gebilligt, damit noch schnell vor der Europawahl mit Ministerrat und Europäischer Kommission im Trilog verhandelt werden kann. Doch daraus wurde nichts. Seit dem 5. 7. heißt es im Europäischen Parlament “zurück auf Los”. Mit 314 zu 278 Stimmen hat das EU-Parlament den Bericht des Rechtsausschusses abgelehnt und damit ein Verhandlungsmandat für den Trilog verweigert. Bis zum 5. 9. werden nun erneut Änderungsanträge gesammelt – mit dem ambitionierten Ziel, im Plenum am 12. 9. die Mehrheit für ein neues Verhandlungsmandat zu bekommen. Gelingt dies nicht, geht der Richtlinienentwurf entweder zurück in den Rechtsausschuss oder ins Nirwana. Eine spannende Sommerpause steht bevor.
Der umstrittenste Artikel in der Richtlinie ist zweifelsohne Art. 13 – eine Vorschrift, mit der insbesondere Musikverlage und Labels versuchen, ihre Verhandlungsposition gegenüber Plattformen wie YouTube und Facebook zu stärken. In der praktischen Konsequenz geht es aber um viel mehr: Die Urheber befürchten eine “kreative Insolvenz”, wenn Art. 13 nicht verabschiedet wird. Die Netzgemeinde hingegen prophezeit mit Art. 13 in seiner aktuellen Entwurfsfassung den “Tod des freien Netzes”. In den politischen Debatten der letzten Wochen blieb häufig die Sachlichkeit auf der Strecke. Auf beiden Seiten wurde der Vorwurf der Desinformationskampagnen laut.
Bleiben wir bei den Fakten.
Niemand stellt in Frage, dass Kreative angemessen an den Einnahmen von Verwertern partizipieren sollen. Tatsache ist aber, dass Millionen von Nutzern tagtäglich Inhalte ins Internet hochladen. Bei weitem nicht alle Uploads sind Urheberrechtsverletzungen. Plattformen per Gesetz zu verpflichten, diese Inhalte per Algorithmus auf Urheberrechtsverletzung zu überprüfen und, falls kein Lizenzvertrag mit dem Rechteinhaber vorliegt, den Upload zu verhindern, kann keine angemessene Lösung sein. Auch wenn ein Algorithmus anhand von Metadaten “lernen” kann, wird er nie in der Lage sein, das nationalstaatliche Geflecht urheberrechtlicher Schranken zu verstehen. Algorithmen würden mitunter Inhalte blocken, die gemäß entsprechender Schrankenregelung kein Urheberrecht verletzen, weil sie der kulturellen Vielfalt dienen sollen. Das komplexe Gefüge von Schutz geistigem Eigentum, Meinungsfreiheit und kultureller Vielfalt würde mit solch einer Filterpflicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen.
In den deutschen Koalitionsverhandlungen Anfang des Jahres hat man die Brisanz von Uploadfiltern erkannt. Im Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, dass die große Koalition Uploadfilterpflichten zur Vermeidung von Urheberrechtsverletzungen als unverhältnismäßig ablehnt. Im Europäischen Parlament scheint sich diese Erkenntnis nur langsam zu verfangen. Im Rechtsausschuss hat man vorsorglich versucht, den Begriff “Uploadfilter” systematisch durch Euphemismen zu ersetzen. Damit ändern sich aber die Konsequenzen nicht. Und die ohnehin schon fatale Rechtsunsicherheit wird dadurch noch verstärkt. Diese Rechtsunsicherheit trifft, wie so häufig, nicht nur die, die Adressaten der Regelung sind, sondern vor allem die, die man eigentlich nicht regulieren will. Für den Wettbewerb und das viel zitierte “level playing field” ist dies nur kontraproduktiv.
Nicht zuletzt ist es die gesellschaftliche Akzeptanz des Urheberrechts, die Schaden an solch einer Regelung nehmen wird. Sie hatte vor ungefähr 20 Jahren ihren Tiefpunkt, als File-Sharing und Raubkopien hoch im Kurs standen. Langsam und dank innovativer Bezahlangebote im Internet gerät die gesellschaftliche Wertschätzung geistigen Eigentums und für das Urheberrecht wieder auf das richtige Niveau. Es bleibt zu hoffen, dass die Gesetzgeber in Brüssel das Urheberrecht nicht mit einer Entscheidung für Urheberrechtsfilter erneut in dieses tiefe Tal der Versagung schicken.
Egal aus welchem Blickwinkel man die Debatte beleuchtet: Mit einem Art. 13, wie er zuletzt im Rechtsausschuss verhandelt wurde, würde die Politik dem Gros der Kreativen einen Bärendienst erweisen. Gewinner wären, wie so häufig, nur die Großen.
RAin Judith Steinbrecher, LL.M., Berlin