Die Reform des europäischen Regulierungsrahmens in der Telekommunikation – Chancen jetzt nutzen
von Wolfgang Kopf*
Nach über zwei Jahren intensiver Beratung haben sich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Parlament und Ministerrat weitgehend auf ein Reformpaket für das europäische Telekommunikationsrecht geeinigt. Schon seit längerem war klar, dass der jetzige europäische Regulierungsrahmen für den schnellen, flächendeckenden Ausbau moderner Breitbandinfrastruktur unzureichend ist. Die sektorspezifische Regulierung von 1998 hat ihre Berechtigung an vielen Stellen verloren. Heute geht es darum, adäquate Rahmenbedingungen für anstehende Milliardeninvestitionen in flächendeckende moderne Breitbandinfrastruktur zu schaffen.
Der Reformkompromiss, der Ende April 2009 ausgehandelt wurde, geht ausdrücklich von der Prämisse aus, dass die hohe Kapitalintensität von Glasfaserinvestitionen mit beträchtlichen Risiken verbunden ist. Zukünftig sollen Risikoverteilungsmechanismen sicherstellen, dass die Risiken fair zwischen dem Investierenden und seinen Vertragspartnern geteilt werden.
Grundsätzlich wird jedes Unternehmen zögern, in ein neues Netz zu investieren, wenn es dieses Netz nach Fertigstellung für Wettbewerber öffnen muss, die kein Investitionsrisiko auf sich nehmen wollen. Entsprechend sieht der Kompromissvorschlag die Möglichkeit einer Risikoteilung etwa über langfristige Kontrakte mit Mindestabnahmemengen vor. Um investierenden Netzbetreibern mehr Planungssicherheit zu bieten, soll den nationalen Regulierungsbehörden die Möglichkeit eingeräumt werden, langfristige Regulierungsentscheidungen zu treffen.
Leider verzögert der Dissens über eine sicherlich wichtige Einzelfrage – die Bedingungen für eine Sperrung von Internetzugängen bei Urheberrechtsverstößen – die Reform der Regeln für den 300 Milliarden Euro schweren europäischen Telekommunikationsmarkt. Es ist zu erwarten, dass trotz des anstehenden Vermittlungsverfahrens zwischen Parlament und Rat die neuen, richtungweisenden Ansätze Bestandteil des Richtlinienpaketes bleiben. Allerdings: Die jetzige Reform ist kein deregulatorischer Durchbruch. So wurde die Chance vertan, den Sektor schrittweise in das allgemeine Wettbewerbsrecht zu überführen. Immerhin sollen erstmals der Übergangscharakter von Regulierung und eine spezifische Überprüfung der Notwendigkeit von Preis- und Zugangsregulierung festgeschrieben werden.
In dem im Juni von der Kommission vorgeschlagenen zweiten Entwurf einer EG-Empfehlung für den Zugang zu den Zugangsnetzen der nächsten Generation („Next Generation Access Networks“, NGA) finden sich hingegen keine bemerkenswerten Reformansätze. Im Gegenteil: Hier wird das alte Regulierungsregime einfach fortgeschrieben und sogar verschärft. Der Entwurf sieht vor, dass wie bisher eine Vielzahl von Zugangsprodukten zu strikt kostenbasierten Vorleistungspreisen angeboten werden müssen. Die Möglichkeit, mit innovativen Preismodellen Investitionsrisiken zu verteilen und damit Anreize für NGA-Investitionen zu setzen, wird zwar erwähnt, doch durch Vorgaben an anderer Stelle wieder ausgehebelt. Die NGA-Empfehlung bedarf deshalb deutlicher Überarbeitung, um nicht die Chance investitionsfreundlicher Rahmenbedingungen zu vertun.
Auch der im Mai vorgestellte Leitlinienentwurf der Kommission für staatliche Beihilfen für den Breitbandausbau ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Initiative ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings bedarf der Entwurf noch deutlicher Präzisierung, insbesondere auch um sicherzustellen, dass Wettbewerbsverzerrungen minimiert und privat getätigte Investitionen nicht durch staatlich finanzierte Netze entwertet werden. Insoweit fehlt es noch an der erforderlichen Rechts- und Planungssicherheit.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie lange die Telekommunikationsbranche noch auf Reformen warten kann. Die Zeit drängt: Europa braucht eine moderne, flächendeckende Breitbandinfrastruktur und muss den Investitionsstau beim Breitbandausbau beheben. Wichtige außereuropäische Industrienationen bauen ihren Vorsprung bei modernen Glasfaseranschlüssen konsequent aus. Gerade in der Krise muss daher alles getan werden, um mit einem anreizorientierten, verlässlichen Regulierungsrahmen private Infrastrukturausgaben zu fördern. Hierdurch kann die Krise schneller überwunden werden. Die alte Kluft zwischen Ex-Monopolisten und neuen Wettbewerbern existiert nicht mehr. Heute sind es investierende und nicht investierende Unternehmen, die die Pole des Marktes markieren. Wir brauchen eine Regulierung, die in der Praxis Investitionen fördert und dafür sorgt, dass Risiken fair verteilt werden. Diese neue und investitionsfördernde Ausrichtung, die im geplanten EG-Richtlinienpaket verankert werden soll, sollte schon vor der Umsetzung in nationales Recht konsequent in Kommissionsempfehlungen und in der Regulierungspraxis berücksichtigt werden.
* | Leiter Politik und Regulierung der Deutschen Telekom AG. |