Cards only?
In der Phase des technologischen Umbruchs ist das inklusiv wirkende Bargeld im Rechtsverkehr abzusichern.
Das physische Bargeld, seine Abschaffung oder Einschränkung, ist bekanntlich in Deutschland und Österreich (dazu auch Hörtner, RdZ 2024, 52 ff., in diesem Heft) Gegenstand teils hitziger politischer Auseinandersetzungen. Noch im vergangenen Sommer wurde in Österreich medial lautstark darüber diskutiert, ob man das Bargeld in der Verfassung verankern sollte, um seine Verwendung abzusichern. Den letzten politischen Schlagabtausch konnte man im vergangenen Dezember mitverfolgen, als im österreichischen Nationalrat über das “Volksbegehren gegen Bargeldobergrenzen” debattiert wurde. Praktisch wäre mit einer Staatszielbestimmung (dazu Potacs, ÖZW 2022, 160) zum Erhalt des Bargelds freilich nicht viel gewonnen. Denn die marktmäßige Akzeptanz des Bargelds sowie die Versorgung mit Bargeld werden vorrangig durch die Ausgestaltung des im Ausgangspunkt privatrechtlichen Instituts des Annahmezwangs erreicht. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ist in diesem Bereich einiges in Bewegung. So hat die Kommission in Form eines Digital Euro Package am 28.6.2023 zwei Verordnungsentwürfe – COM(2023) 364 final und COM(2023) 369 final – veröffentlicht, die sich gerade auch ausführlich mit der Annahmepflicht des physischen und des digitalen Euro befassen. Darüber hinaus hat Belgien am 27.10.2023 einen Entwurf veröffentlicht (Chambre des représentants de Belgique, 27 Octobre 2023, Note de Politique Générale, DC 55 3649/026), der den Annahmezwang von Bargeld samt Sanktionsregime regeln soll.
Es ist überaus faszinierend, wie die uralte geldrechtliche Frage der Wirkungsweise des sog. Annahmezwangs – des Zwangskurses, cours forcé, corso legale – wieder zum Tragen kommt. Welches Zahlungsmittel hat man anzunehmen? Hängt die Frage davon ab, was Geld, was Legal Tender ist? Während in Deutschland umstritten ist, ob dieser Grundsatz überhaupt im BGB verankert ist, sind in Österreich Geldschulden nach der dispositiven Norm des § 907a Abs. 1 S. 1 ABGB grundsätzlich stets auch in Bargeld zu erfüllen. Die Erfüllung hat entweder durch maximal fünfzig Münzen oder höchstens zehn Sammlermünzen mit einem Gesamthöchstbetrag von 1000 Euro (§ 8 Abs. 3 Z. 3 ScheidemünzenG) oder wahlweise unbeschränkt durch Euro-Banknoten (§ 61 Abs. 2 NBG) zu erfolgen. Eine Überweisung ist hingegen nur bei Bekanntgabe einer Bankverbindung durch den Gläubiger und bei Verbrauchergeschäften im Fall des § 6a Abs. 1 KSchG zulässig. Damit ist freilich noch nicht die alles entscheidende Gretchenfrage beantwortet, ob dieser Norm agb-rechtlich Leitbildfunktion zukommt und “Cards-only”-Schilder unzulässig wären.
Hier versucht nun der unionale Gesetzgeber den Spagat, indem die Wahlfreiheit zwischen physischem und digitalem Euro hergestellt werden soll. In den beiden Verordnungen werden Euro-Banknoten und Münzen (ohne zahlenmäßige Beschränkung) sowie der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel erklärt, die zum vollen Nennwert zur Tilgung von Geldschulden angenommen werden müssen. Für Waren oder Dienstleistungen, die im Fernabsatz, einschließlich Online-Käufen, erworben werden, gilt ausschließlich der Annahmezwang des digitalen Euro, während bei allen anderen Geldschulden zwischen digitalem und physischem Euro eine Wahlmöglichkeit besteht soll. Darüber hinaus ist nach dem derzeitigen Stand der Entwürfe davon auszugehen, dass “Cards-only”-Schilder bzw. der Hinweis “No-digital-Euro” unzulässig wären. Unverständlich ist dabei, warum die Frage beim digitalen Euro ausführlich behandelt wird (Art. 10 COM(2023) 369 final), während man sich die Regelungen beim physischen Euro zusammensuchen muss (Artt. 2 Abs. 1 S. 2, 3 Ziff. 4, 7 Abs. 1 COM(2023) 364 final). Beide VO sehen jedoch auch eine Ausnahme vor, nach der der Zahlungsempfänger die Annahme des digitalen oder des physischen Euro verweigern kann, wenn dies (i) in gutem Glauben geschieht, (ii) aus triftigen Gründen erfolgt und (iii) dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Wie will man das in der Praxis anwenden, ohne sich einer mehr oder weniger willkürlichen Ansammlung von Fallgruppen zu bedienen? Eine präzisere und praktisch handhabbare Fassung ist im Zuge der weiteren Konsultationen dringend anzuraten. Die Stoßrichtung der Verordnung ist gleichwohl zu begrüßen. Bargeld ist ein inklusiv wirkendes Zahlungsmittel, das gerade in einer Umbruchphase des Zahlungsverkehrs, in der ein absoluter Digitalisierungsgrad nicht erreicht ist und vielleicht auch nicht erreicht werden sollte, schützenswert ist und regulatorisch abgesichert werden sollte.
Prof. Dr. Johannes W. Flume ist Professor am Fachbereich Privatrecht der Paris Lodron Universität Salzburg