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ZLR 2000, 123
Hufen 

Lebensmittelsicherheit und Vorsorge. Neue Produkte – neue Verfahren – neue Risiken?

Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Mainz

Am 9. und 10. März 2000 trafsich in Wiesbaden der 13. Deutsche Lebensmittelrechtstag. Dort wurde auch das neue Weißbuch der EG-Kommission erörtert, dem sich Prof. Dr. Horst im Spitzenaufsatz widmet. Die Veranstaltung selbst stand unter dem Thema „Lebensmittelsicherheit und Vorsorge“. ZLR 2/2000 veröffentlicht im Schwerpunkt Vorträge, die auf der Tagung gehalten wurden. Weitere Vorträge sind zur Veröffentlichung in ZLR 3/2000 vorgesehen. Den Themenaufriß, mit dem Prof. Dr. Hufen den Lebensmittelrechtstag eröffnete, stellt die Redaktion diesem Heft als Editorial voran.

Das Thema des 13. Deutschen Lebensmittelrechtstages trifft offensichtlich auf großes Interesse. Etwa 180 Teilnehmer haben sich eingefunden. Ein so großes Forum hat es meines Wissens im Lebensmittelrecht noch nicht gegeben.

Das hängt natürlich damit zusammen, daß die Veranstalter, die Wissenschaftliche Gesellschaft für Lebensmittelrecht und der Deutsche Fachverlag, in diesem Jahr sehr konkrete und auch aktuelle Themen ausgewählt haben, die für alle Beteiligten in Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensmittelüberwachung von großem Interesse sind. Gleichwohl bleibt auch hier darauf hinzuweisen, daß gerade unter diesem Aspekt die Teilnahme von nicht sehr viel weniger Experten am letztjährigen Lebensmittelrechtstag („Die ethische Herausforderung des Lebensmittelrechts“) geradezu sensationell genannt werden kann.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß die ethischen und die konkreten rechtlichen Fragen auch gar nicht so weit auseinander liegen. Insbesondere das Problem der Sicherheit und der Vorsorge berührt Grundfragen der Ethik und der Staatsphilosophie. Wie weit darf der Staat beim Schutz der menschlichen Gesundheit gehen? Muß er grundsätzlich jedes Risiko auch um den Preis der Freiheit ausschließen? Ist der Staat selbst verantwortlich für die Überprüfung der in Verkehr gebrachten Lebensmittel oder bleibt es beim bewährten und traditionsreichen Prinzip der Erlaubnisfreiheit? Die Risikoanalyse und das Risikomanagement sind daher mit neuartigen Vorschlägen und traditionellen Prinzipien in Bezug zu setzen. Die damit zusammenhängenden Grundsatzprobleme behandelt der Beitrag von Prof. Dr. Monika Böhm* (Halle) zur „Lebensmittelsicherheit – Maßstäbe und Grenzen gebotener Vorsorge aus rechtlicher Sicht“. Der interdisziplinäre und theorie/praxisübergreifende Anspruch ZLR 2000 S. 123 (124)des Lebensmittelrechtstags wird deutlich, wenn anschließend Dr. Dieter Arnold (Berlin) das Thema „Lebensmittelsicherheit und Vorsorge aus medizin-naturwissenschaftlicher Sicht“ beleuchten wird. In ähnlicher Weise behandelt der Beitrag von Prof. Dr. Benno Kunz (Bonn) „Neue technologische Verfahren: Erscheinungsformen und Folgen für Lebensmittelsicherheit und Vorsorge“.

In einem zweiten Themenschwerpunkt konzentriert sich der Lebensmittelrechtstag auf das wichtige Anwendungsfeld: „Funktionelle Lebensmittel“. Auch hier geht es um die rechtlichen und die technischen Aspekte, auch hier sind die Interessen der Verbraucher, der Lebensmittelwirtschaft und der Lebensmittelüberwachung in Bezug zu setzen. Handelt es sich bei den funktionellen Lebensmitteln um eine Modeerscheinung oder die Ernährung der Zukunft und ergeben sich insofern Bedenken für den Verbraucherschutz? Dieser Frage geht der Beitrag von Dr. Axel Preuß (Münster) nach. Ein heikles Feld ist die Trennungslinie zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln. Dieses Problem wird Dr. Andreas Wehlau (Hamburg) behandeln. Überhaupt bewegen sich die Anbieter der „functional food-Produkte“ auf einem schmalen Grat: Bleiben ihre Angaben über die nicht ernährungsspezifischen Wirkungen ihrer Produkte ungenau oder übertreiben sie, dann drohen Sanktionen wettbewerbsrechtlicher oder auch behördlicher Art. Werden sie aber in ihren Angaben zu „medizinisch“, dann droht die Sanktion des Verbots krankheitsbezogener Werbung oder gar die Einstufung als Arneimittel. Diesen Fragen geht der Beitrag von Dr. Klaus-Alfred Schroeter (Hamburg) nach. Von besonderem Interesse ist auch das Produkthaftungsrecht, wenn es um Produkte mit neuen Wirkungen geht. Hier haben wir mit Dr. Friedrich Graf von Westphalen (Köln) einen erfahrenen Experten des bürgerlichrechtlichen Haftungssystems gewinnen können. Sein Beitrag wird zeigen, welche spezifischen Risiken für funktionelle Lebensmittel und neue Verfahren aus schadensrechtlicher Sicht drohen. Die Angst von „amerikanischen Verhältnissen“ mag übertrieben sein – neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zeigen aber, daß es erhebliche Risikoverlagerungen zu Lasten der Wirtschaft gibt, die diese im Ergebnis nur durch einen umfassenden Versicherungsschutz tragen kann. Am Schluß des ersten Tages wird Professor Dr. Heiko Steffens, der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (Berlin), Anregungen und Bedenken aus Verbrauchersicht zu den funktionellen Lebensmitteln darstellen.

Auch bei diesem Lebensmittelrechtstag zeigt sich, daß es kein Thema ohne europarechtlichen Bezug gibt. Das Weißbuch der Kommission steht somit auch im Hintergrund der gesamten Diskussion dieses Lebensmittelrechtstages. Die Podiumsdiskussion am zweiten Tag wird deshalb über ihr eigentliches Thema („Die Zukunft der Erlaubnisfreiheit im Lebensmittelrecht“) hinaus auch Chancen und Probleme der Vorschläge der Europäischen Kommission mit einbeziehen. Hierzu wird Ludolf von Engelbrechten als Vertreter der Generaldirektion III Stellung nehmen.

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Vorgesehen zur Veröffentlichung in ZLR 3/2000.

 
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