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ZNER 2016, 5
Becker 

Editorial

Das Heft ist dem Schwerpunkt Neuer Strommarkt gewidmet. Die Wahl dieses Schwerpunkts ging zurück auf den Kabinettsbeschluss zu einem neuen Strommarktgesetz. Nur: Wenn man in den Entwurf mit seinen 140 Seiten schaut, findet man ein Artikelgesetz, in dem allein die Änderungen des EnWG 28 Ziffern ausmachen. Betroffen sind neun Gesetze und Verordnungen mit insgesamt 71 Änderungen. Eine Veröffentlichung im Änderungsmodus, die erlauben würde, die Änderungen im Zusammenhang zu lesen und zu verstehen (!), fehlt. Vor allem sucht man vergebens eine Beschreibung des neuen Strommarktes, auch in der Gesetzesprosa.

Voß/Kirschnick kommentieren dieses Vorgehen wie folgt: „Das umfangreiche Artikelgesetz setzt die zunehmende ‚Kleinteiligkeit‘ der energierechtlichen Gesetzgebung fort, indem eine Vielzahl der Regelungen in übermäßig umfangreicher detaillierter Form ausgearbeitet ist. Diese ‚Erlasse in Gesetzesform‘ sind nur wenig leser- und rechtsanwenderfreundlich.“ In der Tat!

Der inhaltliche Befund: Ein radikaler Richtungswechsel droht. Der Grün- und Weißbuchprozess wurde dominiert durch den Streit darüber, ob es einen Kapazitätsmarkt geben solle oder nicht, also die grundsätzliche Bezahlung auch stillgelegter Kraftwerke, wenn sie nur in Bereitschaft gehalten werden. Erzengel Gabriel stellte sich von vornherein dagegen, wie auch das Bundeskartellamt, und trat so mannhaft den Stromkonzernen und dem VKU entgegen. Draufgepackt wurde noch eine Kohlekraftwerkabgabe. Pulverdampf ohne Ende.

Aber, wenn man genauer hinschaut: Die jetzt vorgesehene Kapazitätsreserve ähnelt sehr einer „strategischen Reserve“, was eins der diskutierten Kapazitätsmarktmodelle ausmachte. Und die Vergütung umfasst alle Kosten einschließlich der Vorhaltekosten und des Werteverbrauchs. Die Grünen sprechen davon, dass die ‚Braunkohlesubventionierung über die Kohlereserve zementiert‘‘“ werde.

Für einen Etappensieg der Kohle-Lobby sprechen auch die Feststellungen von Jarass zum Netzentwicklungsplan Strom 2025. Er konstatiert gravierende Defizite:

  • Der geplante kohlebedingte Netzausbau konterkariere die Energiewende;

  • kostengünstige Alternativen werden unzureichend berücksichtigt;

  • die Kosten des Netzausbaus bleiben gänzlich unberücksichtigt;

  • der Netzentwicklungsplan führt zu überhöhten Stromkosten.

Man kann die Privilegierung der Kohle an einem interessanten Detail festmachen: Eine Kappung von Erzeugungsspitzen, die bei der Netzausbauplanung berücksichtigt werden kann, gibt es nur bei EE, aber nicht bei Kohlestrom. Eine Ausnahme ist nur der Netzengpass. Damit dürfte der Gesetzgeber auf die Nachbarländer zugehen. Sein primäres Ziel ist die Schaffung des europäischen Strommarktes. Da es in Frankreich, Großbritannien und wohl ab 2016 auch in Polen Kapazitätsmärkte gibt, dürfte dies Auswirkungen auf Preisspitzen bzw. die Preisentwicklung in Deutschland haben. Voß/Kirschnick schreiben: „Nur wenn diese den eingeschlagenen Weg mitgehen und die Preis- und Kapazitätsentwicklung nicht regulatorisch beeinflussen, kann die Vollendung eines funktionierenden, liberalisierten EU-Binnenmarktes für Strom gelingen.“ Aber da sich die Polen schon heute massiv gegen die deutschen Stromexporte wehren – der Sache nach privilegierter Kohlestrom –, ist Skepsis angebracht.

In diesem „Strommarkt 2.0“ spielt die Energiewende offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Der schon mit dem EEG 2014 begonnene Weg der EE-Förderung über Ausschreibungen privilegiert die großen Akteure und diskriminiert die wenig marktmächtigen. Heine und Schwiederowski sind in ihrem Aufsatz Drohendes Ausschreibungsmodell im EEG? – Erfahrungswerte anhand der Versuche im Vereinigten Königreich und Brasilien skeptisch: „Dort zeigte sich, dass Ausschreibungsmodelle anfällig für eine bestimmende Marktmacht sind und der Gesetzgeber bzw. Ausschreibende in der Verantwortung bleibt, regulatorisch in den Markt einzugreifen“ – also noch mehr regulierende Dichte statt Ausgleich durch Marktkräfte.

Schließlich kommen auch Hennig und Herz in ihrem Aufsatz zu dezentralen Energiekonzepten, dessen erster Teil in diesem Heft abgedruckt wird, zu ernüchternden Konsequenzen. Während ausgerechnet die schwarz/gelbe Koalition das ausdrückliche Ziel verfolgte, den dezentralen Verbrauch von Strom aus EE zu fördern, ist jetzt das Gegenteil angesagt: Die Befreiung von der EEG-Umlage findet nur noch in wenigen Fällen statt. Die Regierungsbegründung zum EEG 2014 betont die „Entsolidarisierung“, die mit der dezentralen Nutzung von EE-Strom einhergehe. Einer „Flucht in den Eigenverbrauch“ will sie entgegentreten. Der so erfolgreiche Weg der dezentralisierten Erzeugung steht unter Beschuss: Das Grünstromprivileg ist abgeschafft. Ob es zu einem Grünstrommarktmodell kommt, das zahlreiche Unternehmen und Verbände fordern, ist offen. Zwar wird weder im Entwurf des StrommarktG noch im Entwurf des EEG 2016 die Ermächtigungsgrundlage des § 95 Abs. 6 EEG 2014 gestrichen. Aber die Protagonisten solcher Bestrebungen stehen angesichts des Briefs von Minister Gabriel vom 13. Oktober 2015 an den Bundestag mit dem Rücken zur Wand. Verkehrte Welt: Das Stromeinspeisungsgesetz und das EEG 2000 kamen aus dem Bundestag. Heute scheint es schon zu reichen, wenn der zuständige Minister dem Gesetzgeber mitteilt, wie er es gerne hätte. Den „Erzengel“ Hermann Scheer gibt es eben leider nicht mehr.

Noch zwei Bemerkungen zu den Entscheidungen: An den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott ist die Parallele zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bemerkenswert. Nach ihrer Ansicht sollte auch der EuGH trotz rechtswidriger Festsetzung eines Korrekturfaktors bei der Zuteilung von Emissionszertifikaten anordnen können, dass der bisherige Korrekturfaktor vorübergehend weiter wirksam bleibt, bis eine neue Festsetzung erfolgt ist. Er trifft also selbst eine Übergangsregelung.

Ferner: Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist veröffentlichungswürdig, weil sie eine derzeit intensiv diskutierte Frage aufgreift. Parallelentscheidungen des OLG Düsseldorf, des OLG Naumburg und des OLG München sagen: Die Indizwirkung einer Genehmigung der Regulierungsbehörde, die der Bundesgerichtshof in der Entscheidung Stromnetznutzungsentgelt V statuiert hat, kann nur dadurch erschüttert werden, dass der Netznutzer konkret zu unzutreffenden Angaben des Netzbetreibers gegenüber der Regulierungsbehörde oder deren Ermessensfehlgebrauch vorträgt. Diese drei Entscheidungen sind beim Bundesgerichtshof nunmehr in der Revisionsinstanz anhängig. Das OLG Stuttgart geht einen anderen Weg. Es hält die Rechtsprechung der genannten Oberlandesgerichte für zu streng, weil der Netznutzer keine Möglichkeit habe, die dort verlangten Voraussetzungen für die Erschütterung ZNER 2016 S. 5 (6)der Indizwirkung einzuhalten. Es hängt die Messlatte daher tiefer. Das dürfte richtig sein.

Eine personelle Veränderung gibt es im Wissenschaftlichen Beirat der ZNER: Dr. Guido Wustlich scheidet aus. Wir danken ihm für seine kreative und kompetente Mitarbeit. An seine Stelle tritt Dr. Volker Hoppenbrock, ebenfalls aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Peter Becker

 
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