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Wettbewerb
12.07.2023
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EuGH: Das Gericht bestätigt die Beschlüsse der Kommission, mit denen der Clearstream Banking AG die Genehmigung erteilt wurde, den amerikanischen Sanktionen gegen den Iran nachzukommen

EuG, Urteil vom 12. 7. 2023 – Rs. T-8/21; IFIC Holding AG gegen Europäische Kommission, ECLI:EU:T:2023:387

PM-Nr. 119/23 v. 12.7. 2023: Das Gericht bestätigt die Beschlüsse der Kommission, mit denen der Clearstream Banking AG die Genehmigung erteilt wurde, den amerikanischen Sanktionen gegen den Iran nachzukommen

Es weist die Klage der IFIC Holding, einer deutschen Gesellschaft, deren Anteile mittelbar vom iranischen Staat gehalten werden, ab

Im Jahr 2018 zogen sich die Vereinigten Staaten von Amerika aus der Nuklearvereinbarung mit dem Iran zurück, die 2015 unterzeichnet worden war und die Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms sowie die Aufhebung der dem Iran auferlegten Wirtschaftssanktionen zum Gegenstand hatte. Infolgedessen verhängten die Vereinigten Staaten, gestützt auf den „Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012“ (Gesetz von 2012 über die Freiheit und die Bekämpfung der Proliferation im Iran), erneut Sanktionen gegen den Iran und bestimmte Personen.[1] Seitdem ist es Personen, die nicht der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten unterstehen, erneut untersagt, Geschäftsbeziehungen mit Personen auf der SDN-Liste zu unterhalten.

Im Anschluss daran erließ die Union zum Schutz ihrer Interessen die Delegierte Verordnung 2018/1100,[2] mit der der „Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012“ in den Anhang der Verordnung Nr. 2271/96[3] aufgenommen wurde. Die letztgenannte Verordnung, die für Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung der in ihrem Anhang aufgeführten Gesetze sorgen soll, verbietet es insbesondere den betreffenden Personen,[4] den fraglichen Gesetzen oder den sich daraus ergebenden Maßnahmen nachzukommen (Art. 5 Abs. 1), es sei denn, die Europäische Kommission erteilt die Genehmigung dazu, wenn durch die Nichteinhaltung der ausländischen Rechtsakte die Interessen unter die Verordnung fallender Personen oder der Union schwer geschädigt würden (Art. 5 Abs. 2). Sie erließ ferner die Durchführungsverordnung 2018/1101 zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96.[5]

Die IFIC Holding AG (im Folgenden: IFIC) ist ein deutsches Unternehmen, dessen Anteile mittelbar vom iranischen Staat gehalten werden und das seinerseits Beteiligungen an verschiedenen deutschen Unternehmen hält, aus denen ihm Ansprüche auf Dividenden zustehen. Die Clearstream Banking AG ist die einzige in Deutschland zugelassene Wertpapiersammelbank. Sie setzte, nachdem die Vereinigten Staaten die IFIC im November 2018 in die SDN-Liste aufgenommen hatten, die Abführung von Dividenden an die IFIC aus und sperrte diese auf einem gesonderten Konto. Am 28. April 2020 erließ die Kommission im Anschluss an einen Antrag von Clearstream Banking auf Erteilung einer Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 den Durchführungsbeschluss C(2020) 2813 final, mit dem sie Clearstream Banking die Genehmigung erteilte, bestimmten Gesetzen der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Wertpapiere oder Mittel der Klägerin für einen Zeitraum von zwölf Monaten nachzukommen (im Folgenden: streitige Genehmigung). Diese Genehmigung wurde in den Jahren 2021 und 2022 mit den Durchführungsbeschlüssen C(2021) 3021 final und C(2022) 2775 final[6] (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse) verlängert. In diesem Kontext begehrt IFIC auf der Grundlage von Art. 263 AEUV die Nichtigerklärung der von der Kommission auf Antrag von Clearstream Banking, die dem Verfahren als Streithelferin beigetreten ist, erlassenen Beschlüsse.

Das Gericht weist die Klage von IFIC ab und äußert sich dabei zu ungeklärten Rechtsfragen zur Verordnung Nr. 2271/96. Es stellt insbesondere fest, dass die angefochtenen Beschlüsse keine Rückwirkung haben und dass die Kommission dadurch, dass sie weder die Interessen der Klägerin berücksichtigt noch geprüft hat, ob es weniger einschneidende Alternativen gab, keinen Beurteilungsfehler begangen hat. Es kommt ferner zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung des Rechts der Klägerin auf Anhörung durch die Kommission im Rahmen des Erlasses der angefochtenen Beschlüsse angesichts der mit der Verordnung Nr. 2271/96 verfolgten Ziele erforderlich und verhältnismäßig war.

Würdigung durch das Gericht

Das Gericht stellt erstens fest, dass die angefochtenen Beschlüsse keine Rückwirkung haben, da es darin eindeutig heißt, dass sie ab ihrer Zustellung für einen Zeitraum von zwölf Monaten gültig sind.[7] Daraus folgt, dass die streitige Genehmigung keine Rückwirkung hat und sich nicht auf Verhaltensweisen vor dem Inkrafttreten der angefochtenen Beschlüsse erstreckt, sondern nur auf solche nach diesem Zeitpunkt.

Zweitens führt das Gericht zu dem auf einen Beurteilungsfehler gestützten Klagegrund, mit dem die Klägerin zum einen rügt, die Kommission habe nicht ihre Interessen, sondern nur die von Clearstream Banking berücksichtigt, aus, dass die Kommission dazu nicht verpflichtet war. Die Verordnung Nr. 2271/96[8] macht nämlich die Erteilung einer Genehmigung, den aufgeführten Gesetzen nachzukommen, davon abhängig, dass bei Nichteinhaltung dieser Gesetze die Interessen der die Genehmigung beantragenden Person oder die Interessen der Union schwer geschädigt würden, ohne die Interessen der von den restriktiven Maßnahmen des Drittlands betroffenen Dritten zu erwähnen. Das Gleiche gilt für die von der Kommission bei der Prüfung eines Genehmigungsantrags zu berücksichtigenden nicht kumulativen Kriterien der Durchführungsverordnung 2018/1101.[9] Zudem ist in keinem der in Rede stehenden Kriterien von einer Abwägung der Interessen des Dritten gegen die des Antragstellers oder der Union die Rede. Überdies kann es zwar sein, dass der von den restriktiven Maßnahmen betroffene Dritte unter die Verordnung Nr. 2271/96[10] und damit in den Anwendungsbereich bestimmter Vorschriften dieser Verordnung fällt, doch kann dies im Rahmen der Anwendung der in ihrem Art. 5 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahme nicht dazu führen, 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 2018, L 199 I, S. 7).

dass andere als die dort vorgesehenen Interessen berücksichtigt werden. Zum anderen stellt das Gericht zu dem Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe weder einen Rückgriff auf weniger einschneidende Alternativen noch die Möglichkeit der Klägerin in Erwägung gezogen, Schadensersatz zu verlangen, fest, dass die Durchführungsverordnung 2018/1101[11] der Kommission keine solchen Verpflichtungen auferlegt. Die von der Kommission vorzunehmende Prüfung besteht nämlich darin, ob die vom Antragsteller vorgelegten Belege im Hinblick auf die in der Durchführungsverordnung 2018/1101[12] aufgestellten Kriterien den Schluss zulassen, dass im Fall der Nichteinhaltung der aufgeführten Gesetze die Interessen des Antragstellers oder der Union im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 schwer geschädigt würden. Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass hinreichende Belege für den Eintritt eines schweren Schadens der genannten Interessen vorliegen, braucht sie daher nicht zu prüfen, ob es Alternativen zur Genehmigung gibt.

Drittens führt das Gericht zum Klagegrund der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus, dass sich der Unionsgesetzgeber dafür entschieden hat, ein System zu schaffen, in dessen Rahmen die Interessen der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Dritten nicht berücksichtigt zu werden brauchen und sie nicht an dem Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2271/96 beteiligt werden müssen. Der Erlass eines Beschlusses nach der genannten Bestimmung entspricht nämlich dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen, die darin bestehen, die Interessen der Union oder von Personen, die Rechte aus dem AEU-Vertrag ausüben, vor schweren Schädigungen zu schützen, die sich aus der Nichteinhaltung der aufgeführten Gesetze ergeben könnten.

In diesem Rahmen stünde die Ausübung eines Rechts, gehört zu werden, durch die von dem fraglichen Verfahren betroffenen Dritten nicht nur mit den dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen, die mit diesen Rechtsvorschriften verfolgt werden, nicht im Einklang, sondern könnte auch durch die unkontrollierte Verbreitung von Informationen, von denen die Behörden des Drittlands, in dem die aufgeführten Gesetze erlassen wurden, Kenntnis erlangen könnten, die Verwirklichung dieser Zielsetzungen gefährden. So könnten diese Behörden Kenntnis davon erlangen, dass eine Person die Erteilung einer Genehmigung beantragt hat und dass sie infolgedessen den extraterritorialen Rechtsvorschriften dieses Drittlands möglicherweise nicht nachkommen wird; dadurch entstünde die Gefahr, dass gegen diese Person Ermittlungen und Sanktionen gerichtet werden könnten und damit ihre Interessen und gegebenenfalls die der Union geschädigt würden.

Überdies gehört keines der Elemente, die der persönlichen Situation der betreffenden Dritten innewohnen, unmittelbar zu den Elementen, die der Genehmigungsantrag[13] umfassen muss, oder zu den von der Kommission bei der Bewertung eines solchen Antrags zu berücksichtigenden Kriterien.[14] Somit können nach dem durch die Verordnung Nr. 2271/96 geschaffenen System die von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Dritten keine Fehler oder Elemente, die ihre persönliche Situation betreffen, geltend machen. Eine Einschränkung des Rechts der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Dritten, im Rahmen eines solchen Verfahrens gehört zu werden, erscheint daher in Anbetracht des einschlägigen rechtlichen Rahmens und der mit ihm verfolgten Ziele weder als unverhältnismäßig noch als Eingriff in den Wesensgehalt dieses Rechts. Daraus folgt, dass die Einschränkung des Rechts, gehört zu werden, unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles im Sinne der Rechtsprechung gerechtfertigt und angesichts der mit der Verordnung Nr. 2271/96 und insbesondere mit ihrem Art. 5 Abs. 2 verfolgten Ziele erforderlich und verhältnismäßig ist. Die Kommission war daher nicht verpflichtet, die Klägerin im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass der angefochtenen Beschlüsse geführt hat, anzuhören.

Ferner hat die Klägerin geltend gemacht, die Kommission hätte, um ihren Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren, zumindest den verfügenden Teil der angefochtenen Beschlüsse veröffentlichen müssen. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kommission eine solche Veröffentlichungspflicht oblag. Zum einen gibt es dafür keine Rechtsgrundlage in einer einschlägigen Bestimmung; zum anderen kann die Veröffentlichung der angefochtenen Beschlüsse nach ihrem Erlass keine Auswirkung auf die Ausübung eines etwaigen Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör während des Verwaltungsverfahrens haben. Schließlich hat das Gericht aus den gleichen Gründen auch das Vorbringen der Klägerin zurückgewiesen, alternativ hätte die Kommission ihr die angefochtenen Beschlüsse nach deren Erlass mitteilen müssen. Nach alledem kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommission dadurch, dass sie die angefochtenen Beschlüsse weder veröffentlicht noch der Klägerin mitgeteilt hat, deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.



[1] Specially Designated Nationals and Blocked Persons List (Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen, im Folgenden: SDN-Liste).

[2] Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 2018, L 199 I, S. 1).

[3] Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 1996, L 309, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 zur Änderung bestimmter Verordnungen zur gemeinsamen Handelspolitik hinsichtlich der Verfahren für die Annahme bestimmter Maßnahmen (ABl. 2014, L 18, S. 1) sowie durch die Delegierte Verordnung 2018/1100 geänderten Fassung.

[4] Von Art. 11 der VO Nr. 2271/96 werden u. a. natürliche Personen erfasst, die in der Union ansässig und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie juristische Personen, die in der Union eingetragen sind (Art. 11 Nrn. 1 und 2).

[5] Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101 der Kommission vom 3. 8. 2018 zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 2018, L 199 I, S. 7).

[6] Durchführungsbeschlusses C(2021) 3021 final der Kommission vom 27. 4. 2021 und Durchführungsbeschluss C(2022) 2775 final der Kommission vom 26. 4. 2022.

[7] Vgl. Art. 3 der angefochtenen Beschlüsse.

[8] Vgl. Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 2271/96.

[9] Vgl. Art. 4 der Durchführungsverordnung 2018/1101.

[10] Vgl. Art. 11 der VO Nr. 2271/96.

[11] Vgl. Art. 3 der Durchführungsverordnung 2018/1101.

[12] Vgl. Art. 4 der Durchführungsverordnung 2018/1101.

[13] Im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2018/1101: „Die Anträge müssen den Namen und die Kontaktdaten des Antragstellers enthalten, ferner die Angabe der einzelnen betroffenen Bestimmungen der gelisteten extraterritorialen Rechtsakte oder der Folgemaßnahmen sowie eine Beschreibung des Gegenstands der beantragten Genehmigung und des Schadens, der durch Nichteinhaltung eintreten würde.“

[14] Im Sinne der in Art. 4 der Durchführungsverordnung 2018/1101 vorgesehenen Kriterien, anhand deren zu beurteilen ist, ob den in Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 2271/96 genannten geschützten Interessen ein schwerer Schaden zugefügt würde.

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