EuG: Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, mit dem die Finanzhilfe der Niederlande zugunsten der Fluggesellschaft KLM im Kontext der Covid-19-Pandemie genehmigt wurde, wegen unzulänglicher Begründung für nichtig
Das EuG hat mit Urteil vom 19. 5. 2021 – Rs. T-643/20; Ryanair DAC gegen Kommission; ECLI:EU:T:2021:286 entschieden (PM).
In Anbetracht der besonders nachteiligen Auswirkungen der Pandemie auf die niederländische Wirtschaft setzt das Gericht jedoch die Wirkungen der Nichtigerklärung bis zum Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission aus
Im Juni 2020 meldeten die Niederlande bei der Europäischen Kommission eine staatliche Beihilfe zugunsten der Fluggesellschaft KLM an, einer Tochtergesellschaft der Holdinggesellschaft Air France-KLM. Die angemeldete Beihilfe, die sich auf insgesamt 3,4 Mrd. Euro belief, bestand zum einen aus einer staatlichen Garantie für ein Darlehen, das von einem Bankenkonsortium gewährt werden sollte, und zum anderen aus einem staatlichen Darlehen. Mit dieser Maßnahme wollten die Niederlande vorübergehend die Liquidität zuführen, die KLM benötigte, um die negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen. Angesichts der Bedeutung von KLM für ihre Wirtschaft und ihre Luftverkehrsanbindung waren die Niederlande nämlich der Auffassung, dass eine Insolvenz von KLM die pandemiebedingte beträchtliche Störung in ihrem Wirtschaftsleben weiter verstärkt hätte.
Am 4. 5. 2020 hatte die Kommission bereits eine Einzelbeihilfe in Höhe von insgesamt 7 Mrd. Euro, die die Französische Republik in Form einer staatlichen Garantie und eines Gesellschafterdarlehens Air France, einer weiteren Tochtergesellschaft der Holdinggesellschaft Air France-KLM, gewährt hatte, für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt.[1] Mit dieser Beihilfemaßnahme sollte der unmittelbare Liquiditätsbedarf von Air France gedeckt werden.
Da die Kommission der Auffassung war, dass die angemeldete Beihilfe eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellte, prüfte sie sie anhand ihrer Mitteilung vom 19. 3. 2020 mit dem Titel „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19“.[2] Mit Beschluss vom 13. 7. 2020 stellte die Kommission fest, die Beihilfe sei gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar.[3] Nach dieser Vorschrift können Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.
Gegen diesen Beschluss erhob die Fluggesellschaft Ryanair eine Nichtigkeitsklage, der die Zehnte erweiterte Kammer des Gerichts der Europäischen Union nach Durchführung eines beschleunigten Verfahrens stattgibt, wobei sie aber die Wirkungen der Nichtigerklärung bis zum Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission aussetzt. In seinem Urteil äußert sich das Gericht dazu, wie weit die Begründungspflicht der Kommission reicht, wenn diese eine Beihilfe zugunsten einer Tochtergesellschaft einer Holdinggesellschaft für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt, nachdem eine weitere Tochtergesellschaft derselben Holdinggesellschaft bereits eine ähnliche Beihilfe erhalten hat.
Würdigung durch das Gericht
Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage machte Ryanair u. a. geltend, die Kommission habe ihre Begründungspflicht verletzt, da sie nicht dargelegt habe, aus welchen Gründen die vorherige Beihilfe an Air France keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfe an KLM mit dem Binnenmarkt habe, obgleich Air France und KLM zwei Tochtergesellschaften derselben Holdinggesellschaft seien.
Hierzu führt das Gericht zunächst aus, dass der zuvor ergangene Beschluss über die Beihilfe an Air France zu dem Kontext gehört, der bei der Prüfung, ob die Begründung des angefochtenen Beschlusses den Anforderungen von Art. 296 AEUV genügt, zu berücksichtigen ist. Zudem obliegt es der Kommission, wenn die wettbewerblichen Auswirkungen einer Kumulierung staatlicher Beihilfen innerhalb derselben Unternehmensgruppe zu befürchten sind, die Verbindungen zwischen den einzelnen Unternehmen dieser Gruppe besonders aufmerksam zu untersuchen, um zu prüfen, ob diese Unternehmen in beihilferechtlicher Hinsicht als eine wirtschaftliche Einheit und daher als ein einziger Begünstigter angesehen werden können.[4]
Im Hinblick hierauf stellt das Gericht fest, dass der angefochtene Beschluss weder Angaben zur Zusammensetzung des Aktienbesitzes bei Air France und KLM noch Informationen über die funktionellen, wirtschaftlichen und institutionellen Verbindungen zwischen der Holdinggesellschaft Air France-KLM und ihren Tochtergesellschaften enthält, obwohl aus dem Beschluss hervorgeht, dass die Holdinggesellschaft bei der Vergabe und der Verwaltung sowohl der für KLM als auch der für Air France vorgesehenen Beihilfen eingebunden ist. Ebenso wenig wird im angefochtenen Beschluss dargelegt, dass irgendein Mechanismus bestünde, der verhindert, dass die Air France über die Holdinggesellschaft Air France-KLM gewährte Beihilfe gerade über diese Holdinggesellschaft KLM zugutekommt und umgekehrt.
In diesem Zusammenhang weist das Gericht die Erläuterungen als unzulässig zurück, die die Kommission erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, um darzutun, dass die zuvor Air France gewährte Beihilfe KLM nicht zugutekommen könne. Des Weiteren verfügt die Kommission zwar hinsichtlich der Frage, ob zu einer Gruppe gehörende Unternehmen beihilferechtlich als wirtschaftliche Einheit anzusehen sind, über einen weiten Beurteilungsspielraum, doch hat sie es versäumt, im angefochtenen Beschluss hinreichend klar und genau alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Umstände darzulegen, die zu berücksichtigen sind, um einen komplexen Sachverhalt zu würdigen, der durch die parallele Gewährung von zwei staatlichen Beihilfen an zwei Tochtergesellschaften ein und derselben Holdinggesellschaft gekennzeichnet ist, wobei diese Holdinggesellschaft überdies bei der Vergabe und der Verwaltung dieser Beihilfen eingebunden ist.
Außerdem konnte das Gericht wegen der Unzulänglichkeit der Begründung des angefochtenen Beschlusses weder die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Beihilfe noch die Einhaltung der Kumulierungsbedingungen und der Höchstbeträge prüfen, die in Rn. 25 Buchst. d und Rn. 27 Buchst. d des befristeten Rahmens festgelegt sind.[5] Aus denselben Gründen war das Gericht
Folglich befindet das Gericht, dass die Kommission mit den bloßen Feststellungen, KLM sei die Empfängerin der fraglichen Beihilfe, und die niederländischen Behörden hätten bestätigt, dass die KLM gewährte Finanzierung nicht von Air France genutzt werde, den angefochtenen Beschluss nicht rechtlich hinreichend begründet hat. Diese Unzulänglichkeit der Begründung hat zur Folge, dass der angefochtene Beschluss für nichtig erklärt wird.
Angesichts der Tatsache, dass diese Nichtigerklärung aus der Unzulänglichkeit der Begründung des angefochtenen Beschlusses resultiert und die unmittelbare Infragestellung der Vereinnahmung der durch die angemeldete Beihilfemaßnahme vorgesehenen Geldbeträge besonders nachteilige Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und die Luftverkehrsanbindung der Niederlande gehabt hätte, und zwar in einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext, der bereits durch die beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben aufgrund der Covid-19-Pandemie geprägt ist, entscheidet das Gericht jedoch, die Wirkungen der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen, bis die Kommission
(EuGH, PM-Nr. 84/2021)
[1] Beschluss C(2020) 2983 final der Kommission vom 4. 5. 2020 über die staatliche Beihilfe SA.57082 (2020/N) – Frankreich – Covid-19: befristeter Rahmen, [Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV] – Garantie und Gesellschafterdarlehen zugunsten von Air France (im Folgenden: Air-France-Beschluss).
[2] Mitteilung der Kommission über den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19 (ABl. 2020, C 91 I, S. 1), geändert am 3. 4. 2020 (ABl. 2020, C 112 I, S. 1), am 13. 5. 2020 (ABl. 2020, C 164, S. 3) und am 29. 6. 2020 (ABl. 2020, C 218, S. 3) (im Folgenden: befristeter Rahmen).
[3] Beschluss C(2020) 4871 final der Kommission vom 13. 7. 2020 über die staatliche Beihilfe SA.57116 (2020/N) – Niederlande – Covid-19: staatliche Garantie und staatliches Darlehen zugunsten von KLM (ABl. 2020, C 355, S. 1; im Folgenden: angefochtener Beschluss).
[4] Nach Rn. 11 der Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2016, C 262, S. 1) können mehrere getrennte rechtliche Einheiten für die Zwecke der Anwendung der Beihilfevorschriften als eine wirtschaftliche Einheit angesehen werden. Zu berücksichtigen ist insoweit das Bestehen von Kontrollbeteiligungen und anderer funktioneller, wirtschaftlicher und institutioneller Verbindungen.
[5] Nach Rn. 25 Buchst. d Ziff. i des befristeten Rahmens werden staatliche Beihilfen in Form neuer staatlicher Darlehensgarantien auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen, wenn bei Darlehen, die länger laufen als bis zum 31. 12. 2020, der Darlehensbetrag nicht höher ist als die doppelte jährliche Lohnsumme des Empfängers für das Jahr 2019 oder das letzte verfügbare Jahr. Dieselbe außerstande, zu kontrollieren, ob die Kommission bei der Prüfung der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen ist.