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Wettbewerb
24.05.2023
Wettbewerb
EuG: Die Klage des deutschen Stadtwerks enercity gegen die von der Kommission erteilte Genehmigung des Erwerbs von E.ON-Erzeugungsanlagen durch RWE wird als unzulässig abgewiesen

EuG, Urteil vom 17. 5. 2023 – Rs. T-321/20; enercity AG gegen Europäische Kommission; ECLI:EU:T:2023:253

PM Nr. 82/2023: Das Gericht klärt in diesem Zusammenhang die bislang nicht entschiedene Frage der Beweislast hinsichtlich des Versands eines Fragebogens durch die Kommission zur Durchführung einer Marktbefragung

Im März 2018 haben die RWE AG und die E.ON SE, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen komplexen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen.

Mit der ersten Transaktion wollte RWE, die in mehreren europäischen Staaten auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig ist, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON, einer in mehreren europäischen Staaten tätigen Stromerzeugerin, erwerben. Die zweite Transaktion bestand darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Energieverteilung und -vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der innogy SE, einer Tochtergesellschaft von RWE, erwarb. Die dritte Transaktion sah den Erwerb einer Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON durch RWE vor.

Am 24. 7. 2018 teilte das deutsche Stadtwerk enercity AG, das in Deutschland Strom erzeugt und liefert, der Europäischen Kommission mit, dass es am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die sich auf diese Zusammenschlüsse beziehenden Unterlagen erhalten möchte.

Nach Anmeldung des ersten Zusammenschlusses bei der Kommission am 22. 1. 2019 führte diese u. a. eine Marktbefragung durch und übermittelte dazu bestimmten Unternehmen einen Fragebogen. Mit Beschluss vom 26. 2. 2019[1] (im Folgenden: streitiger Beschluss) erklärte die Kommission diesen Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Enercity[2] hat beim Gericht eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben, die von der vierten erweiterten Kammer des Gerichts als unzulässig abgewiesen wurde, da das Stadtwerk vom streitigen Beschluss nicht unmittelbar betroffen ist. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, prüfte das Gericht insbesondere die bislang nicht entschiedene Frage der Beweislast hinsichtlich des Versands eines Fragebogens durch die Kommission im Rahmen der Durchführung ihrer Marktbefragung.

Würdigung durch das Gericht

Vorab weist das Gericht darauf hin, dass gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV eine natürliche oder juristische Person nur dann eine Klage gegen einen an eine andere Person gerichteten Beschluss erheben kann, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft.

Hierzu bestätigt das Gericht, dass enercity unmittelbar vom streitigen Beschluss betroffen ist, da dieser die sofortige Durchführung des ersten Zusammenschlusses gestattete und so zu einer unmittelbaren Änderung der Lage auf den betroffenen Märkten führen konnte.

Zur individuellen Betroffenheit von enercity weist das Gericht darauf hin, dass in einem Beschluss, mit dem die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt wird, bei der Prüfung der individuellen Betroffenheit eines Drittunternehmens darauf abzustellen ist, ob zum einen seine Marktstellung beeinträchtigt ist und ob es zum anderen am Verwaltungsverfahren beteiligt war. Zum letztgenannten Punkt ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die aktive Teilnahme des Drittunternehmens am Verwaltungsverfahren zwar ein Faktor ist, der regelmäßig berücksichtigt wird, um in Verbindung mit anderen spezifischen Umständen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage festzustellen, dass die bloße Teilnahme am Verfahren für sich allein aber nicht ausreicht, um seine individuelle Betroffenheit festzustellen.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht zunächst fest, dass die Teilnahme von enercity am den ersten Zusammenschluss betreffenden Verwaltungsverfahren unstreitig ist. Aufgrund einer eingehenden Prüfung der ihm hierzu übermittelten Informationen stellt das Gericht jedoch fest, dass sie nicht ausreichen, um diese Beteiligung als „aktiv“ einzustufen. Das Gericht vertritt vielmehr die Ansicht, dass das diesbezügliche Vorbringen von enercity zwar von einem gewissen Interesse war und von der Kommission berücksichtigt wurde, dass es aber für die Beurteilung der Auswirkungen des in Rede stehenden Zusammenschlusses auf den relevanten Markt nicht maßgeblich war.

Das Vorbringen von enercity, das im Wesentlichen darin besteht, dass die Dienststellen der Kommission gegenüber enercity ihre Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hätten, und zwar sowohl hinsichtlich des Versands des Fragebogens zur Durchführung der Marktbefragung als auch hinsichtlich der weiteren Behandlung ihres Antrags auf Anerkennung als betroffene Dritte, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften.

Sofern enercity geltend macht, diesen Fragebogen nicht erhalten zu haben, legt das Gericht zunächst dar, dass der Nachweis des Versands dieses Fragebogens der Kommission obliegt. Insoweit stellt es fest, dass die Kommission im Anschluss an eine prozessleitende Maßnahme mehrere Beweise übermittelt hat, die den Versand des streitigen Dokuments an enercity belegen.

Sodann weist das Gericht zum Vorbringen von enercity, wonach der Fragebogen an den falschen Adressaten, nämlich an ihren Pressesprecher, übermittelt worden sei, darauf hin, dass von einem Pressesprecher vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er bei Erhalt nicht nur einer E-Mail, sondern auch eines Faxes eines Organs der Europäischen Union dieses Organ unverzüglich über den Irrtum hinsichtlich des Adressaten informiert.

Außerdem hätte er auch mit der Rechtsabteilung oder der Vertriebsabteilung seines Unternehmens Fühlung nehmen und sie über den Erhalt der in Rede stehenden Dokumente informieren können.

Jedenfalls hätte, auch wenn enercity den ausgefüllten Fragebogen zurückgeschickt hätte, das bloße Zurückschicken nicht ausgereicht, um ihre Beteiligung am Verwaltungsverfahren als aktiv einzustufen und sie im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV zu individualisieren.

Schließlich lässt das Gericht – obwohl der Umstand, dass enercity beim Anhörungsbeauftragten die Anerkennung als betroffene Dritte beantragt hat, ein Indiz ihrer Absicht darstellen kann, sich am den in Rede stehenden Zusammenschluss betreffenden Verfahren zu beteiligen – nicht zu, dass ein solcher Antrag die Teilnahme als „aktiv“ charakterisiert, da diese Einstufung den Nachweis von Handlungen des betroffenen Unternehmens erfordert, die den Ausgang des in Rede stehenden Verfahrens hätten beeinflussen können.

Vor dem Hintergrund, dass enercity sich nicht aktiv am ersten Zusammenschluss beteiligt hat, und ferner unter Berücksichtigung dessen, dass in Bezug auf die Beeinträchtigung der Marktstellung der Klägerin keine besonderen Umstände vorliegen, stellt das Gericht fest, dass enercity vom streitigen Beschluss nicht individuell betroffen ist. Das Gericht kommt somit zu dem Ergebnis, dass enercity ihre Klagebefugnis nicht nachgewiesen hat und weist die Klage folglich als unzulässig ab.

 



[1] Beschluss C(2019) 1711 final der Europäischen Kommission vom 26. 2. 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets).

[2] Es ist darauf hinzuweisen, dass zehn andere Unternehmen ebenfalls Klagen auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben haben. Alle diese Klagen werden entweder als unzulässig oder in der Sache abgewiesen, Siehe folgende zusammenhängende Verfahren: Urteile vom 17. 5. 2023, EVH/Kommission, T-312/20, Stadtwerke Leipzig/Kommission, T-313/20, GWS Stadtwerke Hameln/Kommission, T-314/20, TEAG/Kommission, T-315/20, Naturstrom/Kommission, T-316/20, EnergieVerbund Dresden/Kommission, T-317/20, eins energie in sachsen/Kommission, T-318/20, GGEW/Kommission, T-319/20, Mainova/Kommission, T-320/20, und Stadtwerke Frankfurt am Main Holding/Kommission, T-322/20.

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