Prof. Dr. Walter Frenz: Terroristischer Angriff auf die Menschenwürde – Schrems-Urteil des EuGH ein Fehler?
Über 120 Tote bei mehreren islamistischen Anschlägen in Paris, allein über 80 wegen einer Bombenexplosion bei einem Konzert. Glücklicherweise konnte ein Sprengsatz nur vor dem Stadion zur Explosion gebracht werden und nicht, wie wohl geplant, im Stadion des Freundschaftsspiels Frankreich-Deutschland am 13.11.2015. Dieser Anschlag belegt deutlich, dass es darum geht, möglichst viele Menschen zu treffen. Es wurde noch nicht einmal ein besonders augenscheinliches Ziel ins Visier genommen wie noch beim Anschlag am 7.1.2015 auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Umso mehr zeigt sich die menschenverachtende Weise, mit welcher die islamistischen Terroristen vorgehen. Dies sind letztlich Anschläge auch auf die Würde des Menschen: Dieser wird als Objekt zum Töten gesehen, um (westliche) Staaten zu demoralisieren und zu destabilisieren. Der „Schwankende(r) Westen“ (Di Fabio) soll zum Einsturz gebracht werden. Die Opfer terroristischer Anschläge sind insoweit nur das Mittel. Damit aber geht es nicht nur um den Lebensschutz. Der Mensch wird gleichsam zum Objekt hasserfüllter „Boten“ des Islamischen Staates. Es geht damit um den Schutz der Würde des Menschen, wenn solche Anschläge abgewehrt werden sollen.
Ging daher die Schrems-Entscheidung des EuGH vom 6. 10. 2015 – Rs. C-362/14 zu weit? Sie erklärte den Safe-Harbor-Beschluss der Kommission für ungültig, der die nicht im Einzelfall geprüfte Übermittlung von Verbindungsdaten in die USA ermöglichte. Als ein Grund dafür wurde genannt, dass dort im Zweifel die Sicherheit überwiege, ohne dass dies im Einzelfall näher geprüft wird. Auch hierzulande stellt sich die Frage, was vorgeht: Datenschutz oder Präventionsmaßnahmen im Hinblick auf terroristische Anschläge. Werden solche Maßnahmen mit von der unantastbaren Menschenwürde getragen, droht der Datenschutz hintanzustehen. Allerdings wird hierzulande das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur auf den Datenschutz und den Schutz des Privatlebens (Art. 7 und Art. 8 EGRC) gestützt, wie wie nach dem EuGH-Urteil, sondern auch auf die Menschenwürde. Daher kann insoweit ein Ausgleich erfolgen, wie ihn auch der EuGH in seiner Entscheidung zur Datenschutzrichtlinie vom 8. 4. 2014 – verb. Rs. C-293/12 und 594/12, Digital Rights Ireland, vorgenommen hat.
Allerdings hat sich die terroristische Bedrohungslage nochmals erheblich ins Blickfeld geschoben. Dies wird auch nicht ohne Auswirkungen auf die Entscheidung des BVerfG zur nunmehr in Deutschland verabschiedeten Datenschutzgesetzgebung bleiben, welche gleichfalls eine Speicherung von Verbindungsdaten ermöglicht. Zudem ist es wesentlich eher möglich, Veranstaltungen wie etwa auch ein Fußballländerspiel kurzfristig abzusagen, um das Risiko eines Anschlags erst gar nicht in Kauf nehmen zu müssen. Die Gefährdungslage kann insoweit wesentlich unkonkreter sein, wenn es um den Schutz der Menschenwürde geht (näher Frenz, DÖV 2015, 305). Auf dieser Basis können auch andere Maßnahmen besser legitimiert werden, ohne dass jedoch elementare Sicherungen unseres Rechtsstaates verloren gehen dürfen.
Prof. Dr. Walter Frenz, Aachen