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EWS-Standpunkte
01.07.2024
EWS-Standpunkte
Prof. Dr. Walter Frenz: Wettbewerbsfähigkeit first!

Prof. Dr. Walter Frenz, Maître en Droit Public, RWTH Aachen University

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 27. 6. 2024 bringen eine Zeitenwende im Verhältnis von Wettbewerb und Klimaschutz. Dabei zeigt sich eine Ausrichtung des Green Deal auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und damit eine deutlich andere Gewichtung von Klimaschutz und wirtschaftlicher Entwicklung als bislang nach dem Green Deal und dem EU-Klimapaket, das schon in vielfacher Hinsicht umgesetzt wurde (RED III, EU-GebäudeRL, LastenteilungsVO, 2. Standbein Emissionshandel für Verkehrs und Gebäude etc.).

Der Europäische Rat in Brüssel legte bei seiner Sitzung am 27. 6. 2024 in Brüssel fest, dass zuvörderst die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gestärkt werden muss; dadurch soll auch der Klimaschutz vorangebracht werden, ohne aber als eigenständiger Punkt genannt zu werden; dieser wird vielmehr eingereiht. Nach den beschlossenen Schlussfolgerungen findet sich unter Ziff. 29: „Im Anschluss an seine Schlussfolgerungen vom April 2024 und den Bericht des Vorsitzes zu den Arbeiten an einem neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit hat der Europäische Rat die Fortschritte bei den Initiativen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Union, zur Sicherstellung ihrer wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und zur Erschließung des vollen Potenzials des Binnenmarkts überprüft.“ Der Europäische Rat erwartet insoweit unter Ziff. 31 „rasche und entscheidende Fortschritte“ bis Jahresende; besonders liegt ihm die Kapitalmarktunion am Herzen (Schlussfolgerung 30).

Im Anhang der Schlussfolgerungen vom 27. 6. 2024 in Gestalt der Strategischen Agenda 2024-2029 wird dieser Ansatz näher ausgeführt: „Wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und der erste klimaneutrale Kontinent werden, indem wir die Klimawende und den digitalen Wandel erfolgreich bewältigen und dabei niemanden zurücklassen.“ (Schlussfolgerungen, EUCO 15/24, S. 14). Weiter wird darauf abgehoben: „Starke und wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaften werden die treibende Kraft bei der Verwirklichung unserer Ziele sein. In der heutigen übermäßig wettbewerbsorientierten Welt müssen wir den Unternehmergeist Europas freisetzen.“ (Schlussfolgerungen, EUCO 15/24, S. 14).

Genau darin liegt der Ansatz schon der Schlussfolgerungen vom 17./18. 4. 2024 (EUCO 12/24). In Schlussfolgerung 12 wird der Green Deal in das Wettbewerbskonzept integriert: „Der grüne Deal zielt darauf ab, weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben und die Unabhängigkeit bei der Energieversorgung zu erhöhen. Dadurch werden sich das Realeinkommen und die Kaufkraft erhöhen, was den Lebensstandard aller EU-Bürgerinnen und -Bürger verbessern wird.“ Er wird in Schlussfolgerung 16 als Chance für die Wirtschaft begriffen, nicht hingegen als Belastung: „Indem die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass europäische Anbieter die Chancen einer klimaneutralen, digitalen und kreislauforientierten Wirtschaft nutzen können, und dabei der ausgewogene und umfassende Ansatz, der in Granada umrissen wurde, angewendet wird, wird die Union nachhaltige Lösungen entwickeln können, die allen zugutekommen.“

Unter Schlussfolgerung 18 i) des Europäischen Rates vom 17./18. 4. 2024 kommt dann die Kreislaufwirtschaft als Faktor „zur Umsetzung des neuen Deals für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“ zur Sprache: „Steigerung der Zirkularität und der Ressourceneffizienz, u.a. durch die Erschließung des Potenzials der Bioökonomie, um Abhängigkeiten von Primärressourcen, insbesondere von kritischen Rohstoffen, zu verringern.“ Die Kreislaufwirtschaft harrt also der Weiterentwicklung, aber in dem Rahmen der Wettbewerbsfähigkeit und der Ressourcenverfügbarkeit. Umso problematischer sind Maßnahmen, welche durch Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft beeinträchtigen.

Dieser Bereich zeigt: An erster Stelle steht nunmehr auf EU-Ebene die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der Klimaschutz hat in diesem Rahmen Platz. Es wird zugrunde gelegt, dass der Klimaschutz zur Wettbewerbsfähigkeit gehört und diese zugleich fördert. Diese Konzeption verfolgte schon das EU-Klimapaket vom 14. 7. 2021. Indes wird nun klar die Priorität der Wettbewerbsfähigkeit gezeigt. Zum Schwur kommt es, wenn Klimaschutzmaßnahmen die Wirtschaft belasten und damit zugleich deren internationale Wettbewerbsfähigkeit antasten. Letztere hat dann Priorität. Das hat auch Auswirkungen auf grundrechtliche Abwägungen. Das BVerfG misst demgegenüber dem Klimaschutz mit zunehmendem Klimawandel eine immer stärkere Bedeutung bei. Auf EU-Ebene gilt hingegen künftig: Wettbewerbsfähigkeit first!

Damit bleiben aber immer noch die Klimaschutzpflichten nach dem EGMR-Klimaurteil vom 9. 4. 2024 gegen die Schweiz: Zwar ist die EU nicht EMRK-Vertragspartei. Jedoch schreibt das EGMR-Urteil den grundrechtlichen Mindeststandard nach Art. 52 Abs. 3 EGRC fest, den nach Art. 6 Abs. 1 EUV auch die Unionsorgane zu wahren haben. Danach haben sie wirksame quantifizierte Klimaschutzziele zu setzen, die sie auch einhalten und mit denen Klimaneutralität in den nächsten drei Jahrzehnten erreicht werden muss. Diese Messlatte bleibt und kann politisch nicht verändert werden. Jedoch werden durch den Vorrang der Wettbewerbsfähigkeit die Gebiete näher bestimmt, in denen Klimaschutz zu verwirklichen ist, nämlich diejenigen, in denen diese Wettbewerbsfähigkeit nicht oder möglichst wenig angetastet oder gefördert wird. Damit gilt zwar der Vorrang der Wettbewerbsfähigkeit, aber nur unter Wahrung des Klimaschutzes bei einer Gesamtbetrachtung. Somit ist der Klimaschutz in den Rahmen der Wettbewerbsfähigkeit einzufügen. Von daher gilt: Wettbewerbsfähigkeit first – aber nicht ohne Klimaschutz!

 

Hinweis d. Red.: Vgl. den Aufsatz von Frenz, der in EWS Heft 4/2024 erscheint.

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