EuGH: Der Gerichtshof weist das Rechtsmittel der Kommission gegen das Urteil des Gerichts über die von einem italienischen Bankenkonsortium zur Unterstützung eines seiner Mitglieder erlassenen Maßnahmen zurück
Der EuGH (Große Kammer) hat mit Urteil vom 2. 3. 2021 – Rs. C-425/19 P; Kommission gegen Italien, Fondo interbancario di tutela dei depositi, Banca d'Italia und Banca Popolare di Bari SCpA, ECLI:EU:C:2021:154 – entschieden:
(PM) Das Gericht hat zu Recht entschieden, dass diese Maßnahmen keine staatliche Beihilfe darstellen, da sie nicht dem italienischen Staat zuzurechnen sind
2013 bekundete die italienische Bank Banca Popolare di Bari SCpA (BPB) ihr Interesse an der Zeichnung einer Kapitalerhöhung für die Banca Tercas (im Folgenden: Tercas), eine andere italienische Bank mit privatem Kapital, die infolge von Unregelmäßigkeiten, die die Banca d’Italia (italienische Aufsichtsbehörde für den Bankensektor) festgestellt hatte, unter Sonderverwaltung gestellt worden war.
Ihre Interessensbekundung knüpfte BPB jedoch an die vollständige Abdeckung des Vermögensdefizits von Tercas durch den Fondo Interbancario di Tutela dei Depositi (FITD). Der FITD ist ein privatrechtliches auf Wechselseitigkeit beruhendes Konsortium zwischen Banken, das aufgrund der gesetzlichen Einlagensicherung im Fall einer verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation eines seiner Mitglieder tätig werden muss. Der FITD kann außerdem präventiv tätig werden, um ein der Sonderverwaltung unterstelltes Mitglied zu unterstützen. Dies setzt jedoch voraus, dass Aussichten auf eine Gesundung bestehen und eine geringere Belastung zu erwarten ist als die, die sich aus der Intervention des FITD aufgrund der gesetzlichen Einlagensicherung im Fall einer verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation des betreffenden Mitglieds ergibt.
2014 entschied der FITD, nachdem er sich vergewissert hatte, dass eine präventive Intervention zugunsten von Tercas wirtschaftlich vorteilhafter war als die Entschädigung der Einleger dieser Bank im Fall einer verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation, das negative Eigenkapital von Tercas zu decken und ihr bestimmte Garantien zu gewähren. Diese Maßnahmen wurden von der Banca d’Italia genehmigt.
Mit Beschluss vom 23. 12. 2015[1] stellte die Kommission fest, dass diese Intervention des FITD zugunsten von Tercas eine rechtswidrige staatliche Beihilfe Italiens an Tercas darstellte, und ordnete die Rückforderung dieser Beihilfe an.
Italien, BPB und der FITD, unterstützt von der Banca d’Italia, erhoben jeweils Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Mit Urteil vom 19. 3. 2019[2] gab das Gericht diesen Klagen statt und erklärte den Beschluss der Kommission mit der Begründung für nichtig, dass die Voraussetzungen für eine Einstufung der Intervention des FITD nicht erfüllt seien, da diese Intervention weder dem italienischen Staat zurechenbar sei noch aus Mitteln dieses Mitgliedstaats finanziert worden sei.[3]
Indem der Gerichtshof (Große Kammer) das Rechtsmittel der Kommission zurückweist, präzisiert er seine Rechtsprechung zur Zurechenbarkeit von Beihilfemaßnahmen einer privatrechtlichen Einrichtung, bei der es sich weder um eine staatliche Einrichtung noch um ein öffentliches Unternehmen handelt, an den Staat.
Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass Vergünstigungen, damit sie als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, zum einen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein müssen.
Was insbesondere die Zurechenbarkeit der Intervention des FITD zugunsten von Tercas an die italienischen Behörden anbelangt, stellt der Gerichtshof sodann fest, dass dem Gericht kein Fehler unterlaufen ist, als es entschieden hat, dass die von der Kommission vorgebrachten Indizien, die den Einfluss der italienischen Behörden auf die Entscheidungen des FITD belegen sollten, es nicht ermöglichten, die Intervention des FITD zugunsten von Tercas den italienischen Behörden zuzurechnen.
Insoweit hat das Gericht die Rechtsprechung korrekt angewandt, wonach die Kommission auf der Grundlage einer Gesamtheit von Indizien nachzuweisen hat, dass die fraglichen Maßnahmen dem Staat zuzurechnen waren, und daher der Kommission nicht allein deshalb, weil der FITD eine private Einrichtung ist, für die Zurechenbarkeit einer Begünstigung an den Staat ein höheres Beweismaß auferlegt.
Im Zusammenhang mit dem Umstand, dass die Einrichtung, die die Beihilfe gewährt hat, privater Natur ist, ist zu beachten, dass sich die Indizien, die geeignet sind, die Zurechenbarkeit der Maßnahme an den Staat zu belegen, von denen unterscheiden, die verlangt werden, wenn die die Beihilfe gewährende Einrichtung ein öffentliches Unternehmen ist.
Damit hat das Gericht keine unterschiedlichen Beweismaßstäbe angelegt, sondern vielmehr die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs angewandt, nach der sich die Indizien, die geeignet sind, die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme zu belegen, zwangsläufig aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext, in dem diese Maßnahme ergangen ist, ergeben. Denn das Fehlen einer Kapitalbeziehung zwischen dem FITD und dem Staat ist insoweit von gewisser Bedeutung.
Der Gerichtshof stellt außerdem klar, dass seine Rechtsprechung zum Begriff der dem Staat zuzurechnenden Einrichtung, der es dem Einzelnen ermöglicht, sich auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie gegenüber Organisationen oder Einrichtungen zu berufen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen, nicht auf die Frage der Zurechenbarkeit von Beihilfemaßnahmen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV an den Staat übertragen werden kann.
Des Weiteren weist der Gerichtshof das Vorbringen der Kommission zurück, wonach die Gefahr einer Umgehung der Rechtsvorschriften über die Bankenunion bestehe. Die Kommission befürchtete insoweit, dass Art. 32 der Richtlinie 2014/59[4] – wonach die Einleitung eines Abwicklungsverfahrens vorgesehen ist, wenn ein Kreditinstitut eine außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln, die einer staatlichen Beihilfe entspricht, benötigt – umgangen werden könnte, wenn die Intervention einer Stelle wie des FITD zugunsten einer Bank mit privatem Kapital nicht den staatlichen Behörden zugerechnet würde. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass es in Abhängigkeit von den Merkmalen des Einlagensicherungssystems und der jeweiligen Maßnahme weiterhin möglich ist, eine Maßnahme eines Einlagensicherungssystems als staatliche Beihilfe einzustufen und damit ein Abwicklungsverfahren einzuleiten.
Schließlich bestätigt der Gerichtshof, dass das Gericht auf der Grundlage der Würdigung der Gesamtheit der von der Kommission herangezogenen Indizien in ihrem Kontext festgestellt hat, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen hat, als sie davon ausgegangen ist, dass die italienischen Behörden bei der Festlegung der Intervention des FITD zur Unterstützung von Tercas eine erhebliche öffentliche Kontrolle ausgeübt hätten.
[1] Beschluss (EU) 2016/1208 der Kommission vom 23. 12. 2015 über die staatliche Beihilfe Italiens zugunsten der Banca Tercas (SA.39451 [2015/C] [ex 2015/NN]) (ABl. 2016, L 203, S. 1).
[2] Urteil vom 19. 3. 2019, Italien/Kommission, Rs. T-98/16, T-196/16 und T-198/16; vgl. auch PM Nr. 34/19.
[3] Für die Einstufung einer Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln, diese Maßnahme muss geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, dem Begünstigten muss durch sie ein Vorteil gewährt werden, und sie muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.
[4] Art. 32 Abs. 4 Buchst. d der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 5. 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190).