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Wettbewerb
01.06.2023
Wettbewerb
EuG: Die Klage der deutschen Stromerzeugerin EVH gegen die von der Kommission erteilte Genehmigung des Erwerbs von Vermögenswerten von E.ON durch RWE wird abgewiesen

EuG, Urteil vom 17. 5. 2023 – Rs. T-312/20; EVH GmbH gegen Europäische Kommission; ECLI:EU:T:2023:252

PM Nr. 81/2023: Das Gericht weist insbesondere darauf hin, dass ein Tausch von Vermögenswerten zwischen unabhängigen Unternehmen keinen „einzigen Zusammenschluss“ darstellt

Im März 2018 haben die RWE AG und die E.ON SE, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen komplexen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen (im Folgenden: Gesamttransaktion).

Mit der ersten Transaktion wollte RWE, die in mehreren europäischen Staaten auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig ist, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON, einer in mehreren europäischen Staaten tätigen Stromerzeugerin, erwerben. Die zweite Transaktion bestand darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Energieverteilung und -vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der innogy SE, einer Tochtergesellschaft von RWE, erwarb. Die dritte Transaktion sah den Erwerb einer Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON durch RWE vor.

Der erste und der zweite Zusammenschluss wurden von der Europäischen Kommission geprüft, während der dritte Zusammenschluss vom Bundeskartellamt (Deutschland) geprüft wurde.

Im April 2018 teilte die deutsche EVH GmbH, die in Deutschland sowohl aus konventionellen als auch aus erneuerbaren Energiequellen Strom erzeugt, der Kommission mit, dass sie am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die sich auf diese Zusammenschlüsse beziehenden Unterlagen erhalten möchte.

Der erste Zusammenschluss wurde am 22. 1. 2019 bei der Kommission angemeldet. Mit Beschluss vom 26. 2. 2019[1] (im Folgenden: streitiger Beschluss) entschied die Kommission, keine Einwände gegen den angemeldeten Zusammenschluss zu erheben und ihn gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004[2] für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären.

EVH[3] hat beim Gericht eine Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erhoben. Das Gericht weist diese Klage ab und präzisiert zunächst den Begriff „einziger Zusammenschluss“ im Hinblick auf den Tausch von Vermögenswerten. Sodann äußert es sich erstmals zur Pflicht der Kommission, auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004 ergangene Entscheidungen zu veröffentlichen. Schließlich erläutert es den Umfang des Zeitraums, den die Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit des in Rede stehenden Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt berücksichtigen muss und prüft den Begriff „gemeinsame Beteiligung“.

Würdigung durch das Gericht

In einem ersten Schritt weist das Gericht die von RWE erhobene, auf die fehlende Klagebefugnis von EVH gestützte Einrede der Unzulässigkeit zurück.

In dieser Hinsicht weist das Gericht darauf hin, dass gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV eine natürliche oder juristische Person nur dann eine Klage gegen einen an eine andere Person gerichteten Beschluss erheben kann, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft.

Zur unmittelbaren Betroffenheit stellt das Gericht fest, dass der streitige Beschluss die sofortige Durchführung des ersten Zusammenschlusses gestattete und so zu einer unmittelbaren Änderung der Lage auf den betroffenen Märkten führen konnte. EVH, die auf diesem Markt tätig ist, ist vom streitigen Beschluss somit unmittelbar betroffen.

Zur individuellen Betroffenheit von EVH weist das Gericht darauf hin, dass in einem Beschluss, mit dem die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt wird, bei der Prüfung der individuellen Betroffenheit eines Drittunternehmens darauf abzustellen ist, ob zum einen seine Marktstellung beeinträchtigt ist und ob es zum anderen am Verwaltungsverfahren beteiligt war. Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung der erheblichen Beteiligung von EVH am Verwaltungsverfahren, ihrer Eigenschaft als Wettbewerberin der am Zusammenschluss Beteiligten und der potenziellen Auswirkungen auf den Wert bestimmter, von ihr konkret bezeichneter Investitionen aufgrund des Zusammenschlusses davon auszugehen, dass EVH vom streitigen Beschluss individuell betroffen ist.

In einem zweiten Schritt weist das Gericht in der Sache zunächst den Klagegrund zurück, mit dem beanstandet wurde, dass die Kommission zum einen den dritten Zusammenschluss nicht geprüft und zum anderen die drei Zusammenschlüsse nicht als Teile eines einzigen Zusammenschlusses betrachtet habe.

Zum dritten Zusammenschluss stellt das Gericht fest, dass EVH nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass dieser einen Zusammenschluss im Sinne von Art. 3 der Verordnung Nr. 139/2004[4] darstellt.

Hierzu spricht es als Erstes aus, dass Gegenstand der vorliegenden Klage formal nur der Beschluss der Kommission ist, mit dem der erste Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde. In diesem Beschluss wurde im Hinblick auf den Begriff „Zusammenschluss“ nicht ausdrücklich über die Einstufung der dritten Transaktion und in weiterer Folge über die Zuständigkeit der Kommission für die Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser Transaktion mit dem Binnenmarkt befunden. EVH kann daher beim Gericht nicht die Entscheidung über eine Zuständigkeitsfrage beantragen, die von der Kommission im den Gegenstand der Klage bildenden Beschluss nicht behandelt wurde. Im Übrigen hätte es EVH, wenn sie der Ansicht war, dass der dritte Zusammenschluss unionsweite Bedeutung haben könnte, oblegen, eine Beschwerde an die Kommission zu richten, um sie zu ersuchen, darüber zu befinden; diese wäre dann verpflichtet gewesen, über ihre Zuständigkeit als Kontrollbehörde im Grundsatz zu entscheiden.

Als Zweites kann der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung jedenfalls nur dann zu einem Kontrollerwerb führen, wenn die Minderheitsbeteiligung mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die rechtlich zu einer alleinigen Kontrolle führen, oder wenn der Minderheitsgesellschafter aufgrund besonderer Umstände die alleinige Kontrolle auf faktischer Grundlage erlangt.[5] Im vorliegenden Fall hat EVH jedoch weder vorgetragen, dass die von RWE erworbene Minderheitsbeteiligung mit besonderen Rechten ausgestattet sei, noch dargetan, dass RWE eine alleinige Kontrolle auf faktischer Grundlage über E.ON erworben habe.

Zur Frage, ob die drei Zusammenschlüsse als Teile eines einzigen Zusammenschlusses betrachtet werden können, legt das Gericht dar, dass dazu zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen.[6] Zum einen müssen die Erwerbsvorgänge voneinander abhängig sein, so dass die einen ohne die anderen nicht durchgeführt würden. Zum anderen muss ihr Ergebnis darin bestehen, dass einem oder mehreren Unternehmen die unmittelbare oder mittelbare wirtschaftliche Kontrolle über die Tätigkeit eines oder mehrerer anderer Unternehmen übertragen wird. In Anbetracht dieser Voraussetzungen umfasst der Begriff „einziger Zusammenschluss“ also nicht den Fall, dass unabhängige Unternehmen wie etwa beim Tausch von Vermögenswerten die Kontrolle über unterschiedliche Zielunternehmen erwerben.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Prüfung des Gerichts, dass die Gesamttransaktion die Voraussetzung der gegenseitigen Abhängigkeit erfüllt, nicht aber die Voraussetzung betreffend das Ergebnis. Es besteht nämlich keine funktionelle Verbindung zwischen den drei Zusammenschlüssen, da die Gesamttransaktion im vorliegenden Fall keine Transaktion ist, bei der mehrere Zwischentransaktionen getätigt werden, um die Kontrolle über ein oder mehrere Unternehmen durch dasselbe oder dieselben Unternehmen zu erlangen. Vor dem Hintergrund, dass eine der beiden Voraussetzungen nicht erfüllt ist, konnte die Kommission zutreffend davon ausgehen, dass die drei Zusammenschlüsse nicht als Teile eines einzigen Zusammenschlusses zu betrachten sind.

Dennoch ist es in keiner Weise widersprüchlich, dass die Kommission den ersten und den zweiten Zusammenschluss getrennt prüft und im streitigen Beschluss die Auswirkungen berücksichtigt, die sie auf den jeweils anderen Zusammenschluss haben.

Dazu stellt das Gericht vorab klar, dass, selbst wenn es bestätigen sollte, dass der Prioritätsgrundsatz, wie er von der Kommission definiert wird – nämlich das Erfordernis, einen Zusammenschluss im Licht aller früher angemeldeten Zusammenschlüsse zu prüfen – gilt, er in diesem Fall nicht zur Anwendung käme. Der erste Zusammenschluss wurde nämlich formal vor den zweiten Zusammenschluss angemeldet. Das Gericht führt außerdem aus, dass sich eine automatische Anwendung dieses Grundsatzes unter Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen gegenseitigen Abhängigkeit der in Rede stehenden Zusammenschlüsse willkürlich auf den Umfang der durch die Kommission vorgenommenen Prüfung auswirken könnte. Weisen die Zusammenschlüsse jedoch einen Zusammenhang auf, der es der Kommission ermöglicht, die wahrscheinlichen Auswirkungen jedes Zusammenschlusses auf den Markt vorherzusehen, so hat die Kommission dies bei der Gesamtbeurteilung aller relevanten Beweise, die sie für jeden dieser Zusammenschlüsse vornimmt, zu berücksichtigen. Diese Zusammenschlüsse stellen nämlich im Hinblick auf die anderen Transaktionen einen Umstand dar, den die Kommission bei ihrer Gesamtbeurteilung der Auswirkungen der Transaktion auf den Binnenmarkt berücksichtigen muss. Sodann weist das Gericht den Klagegrund, mit dem eine Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz geltend gemacht wird, da die Veröffentlichung des streitigen Beschlusses nach Verstreichen einer beachtlichen Zeitspanne erfolgt sei, mit dem Hinweis zurück, dass die späte Veröffentlichung einer Handlung der

Union die Gültigkeit dieser Handlung nicht beeinflusst.

Im Rahmen seiner Beurteilung führt das Gericht aus, dass die Verordnung Nr. 139/2004 zwar keine Veröffentlichung von gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung erlassenen Entscheidungen im Amtsblatt der Europäischen Union vorschreibt, dass sich die Kommission in der Praxis aber die Verpflichtung auferlegt hat, diese Entscheidungen zu veröffentlichen, und zwar unter Wahrung der Vertraulichkeit in Bezug auf Informationen, die dem Berufsgeheimnis oder anderen Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung unterliegen.[7] Das Gericht vertritt die Ansicht, dass diese Vorgehensweise mit der Verpflichtung der Kommission im Einklang steht, durch angemessene Bekanntmachungsmaßnahmen das Recht der von solchen Entscheidungen unmittelbar und individuell berührten Dritten auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.

Schließlich weist das Gericht den Klagegrund zurück, mit dem offensichtliche Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit des in Rede stehenden Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt geltend gemacht werden, die insbesondere darin bestünden, dass zum einen der gewählte Untersuchungszeitraum zu kurz gewesen sei und zum anderen der Einfluss, den RWE auf E.ON ausüben könne, insbesondere im Hinblick auf ihre gemeinsame Beteiligung, unzureichend geprüft worden sei.

Hinsichtlich des Untersuchungszeitraums stellt das Gericht klar, dass die Kommission bei der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen prüfen muss, ob ein Zusammenschluss geeignet ist, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen. Diese Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung, bei der zu prüfen ist, inwieweit ein Zusammenschluss die für den Stand des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt maßgebenden Faktoren verändern könnte, erfordert es, sich die verschiedenen Kausalketten vor Augen zu führen und von denjenigen mit der größten Wahrscheinlichkeit auszugehen. Folglich hat die Kommission die Auswirkungen des Zusammenschlusses für einen Zeitraum zu prüfen, der nicht länger währen darf, als bis bestimmte Ereignisse mit einem hinreichenden Grad an Gewissheit eintreten.

In diesem Sinne kann von der Kommission nicht verlangt werden, dass sie eine Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung auf der Grundlage von Faktoren durchführt, deren langfristige Auswirkungen sie mit einer vernünftigen Fehlermarge nicht vorhersehen kann.

Zum gebündelten Einfluss von RWE und einer dritten Gesellschaft auf E.ON schließt das Gericht nicht aus, dass das Vorhandensein einer gemeinsamen Beteiligung, also das Halten von Aktien an konkurrierenden Unternehmen durch dieselben institutionellen Anleger und deren nicht koordinierte Wirkungen auf den Wettbewerb, den Wettbewerbsdruck auf die anderen Wettbewerber verringern könnte. Dennoch reicht die bloße Wirkung dieser Verringerung für sich genommen grundsätzlich nicht aus, um im Rahmen einer auf nicht koordinierte Wirkungen gestützten Schadenstheorie eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs nachzuweisen. Im vorliegenden Fall ist es EVH nicht gelungen, Anhaltspunkte vorzulegen, die den Nachweis ermöglichen, dass die Beteiligung der dritten Gesellschaft am Kapital von RWE und E.ON darauf hindeutet, dass bereits eine Tendenz zu kollektiver Marktbeherrschung besteht. Folglich kann der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler angelastet werden, weil sie nicht auf diesen Umstand eingegangen ist.

Vor diesem Hintergrund weist das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.



[1] Beschluss C(2019) 1711 final vom 26. 2. 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets).

[2] Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. 1. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“). Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung trifft die Kommission, wenn sie feststellt, dass der angemeldete Zusammenschluss keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, die Entscheidung, keine Einwände zu erheben und erklärt den Zusammenschluss für vereinbar mit dem Binnenmarkt.

[3] Es ist darauf hinzuweisen, dass zehn andere Unternehmen ebenfalls Klagen auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben haben. Alle diese Klagen werden entweder als unzulässig oder in der Sache abgewiesen, Siehe folgende zusammenhängende Verfahren: Urteile vom 17. 5. 2023, Stadtwerke Leipzig/Kommission, T-313/20, GWS Stadtwerke Hameln/Kommission, T-314/20, TEAG/Kommission, T-315/20, Naturstrom/Kommission, T-316/20, EnergieVerbund Dresden/Kommission, T-317/20, eins energie in sachsen/Kommission, T-318/20, GGEW/Kommission, T-319/20, Mainova/Kommission, T-320/20, enercity/Kommission, T-321/20 und Stadtwerke Frankfurt am Main Holding/Kommission, T-322/20.

[4] Diese Bestimmung („Definition des Zusammenschlusses“) enthält die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Transaktion einen Zusammenschluss im Sinne des Unionsrechts darstellt.

[5] Vgl. in diesem Sinne Nrn. 57 und 59 der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2008, C 95, S. 1),

[6] Vgl. in dieser Hinsicht Erwägungsgrund 20 und Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004.

[7] Vgl. Ziff. 2 und 5 des Dokuments „Guidance on the preparation of public versions of Commission Decisions adopted under the Merger Regulation“ (Leitfaden für die Erstellung öffentlicher Fassungen von Kommissionsentscheidungen, die nach der Fusionskontrollverordnung erlassen werden) vom 26. 5. 2015.

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