R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaft
11.09.2025
Wirtschaft
EuGH: Bankrecht/Bankenabwicklung: Zur Durchsetzbarkeit von Nichtigkeits- und Haftungsklagen gegen die Gesamtrechtsnachfolgerin im Fall der Erhebung vor Abwicklung – “Banco Santander/Bankenabwicklung Banco Popular III”

EuGH (1. Kammer), Urteil vom 11. 9. 2025 – Rs. C-687/23; D.E. gegen Banco Santander SA; ECLI:EU:C:2025:687


Pressemitteilung

Banco Popular: Die Ansprüche aus Nichtigkeits- und Haftungsklagen, die vor Abwicklung dieser Bank erhoben wurden, können Banco Santander entgegengehalten werden

Am 7. 6. 2017 wurde das Abwicklungskonzept für das spanische Finanzinstitut Banco Popular vom Einheitlichen Abwicklungsausschuss erlassen und von der Europäischen Kommission gebilligt. Das Stammkapital dieses Instituts wurde auf null gekürzt, seine im Umlauf befindlichen Aktien wurden herabgeschrieben und die Instrumente des Ergänzungskapitals in Aktien umgewandelt, die anschließend auf Banco Santander übertragen wurden. Im Jahr 2018 wurde Banco Santander Gesamtrechtsnachfolgerin von Banco Popular.

Eine große Zahl von Erwerbern verschiedener Kapitalinstrumente von Banco Popular erhob Klagen auf Nichtigerklärung der Verträge, mit denen diese Instrumente erworben worden waren, und Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises und/oder Haftungsklagen aufgrund der von der Bank gemachten Angaben.[1] Im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten haben spanische Gerichte dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In seinen Urteilen vom 5. 5 2022 und vom 5. 9. 2024 hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie zur Bankenabwicklung[2] die Anteilseigner eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts daran hindert, Nichtigkeits- und Haftungsklagen nach der Abwicklung zu erheben.[3]

Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat Zweifel im Hinblick auf einen Fall, in dem Wandelanleihen vor dem Ergreifen von Maßnahmen zur Abwicklung von Banco Popular in Aktien dieser Bank umgewandelt wurden und die Klage auf Nichtigerklärung des Vertrags über die Zeichnung der Wandelanleihen sowie die entsprechende Haftungsklage im Gegensatz zu den Rechtssachen, in denen die angeführten Urteile ergangen sind, vor der Abwicklung von Banco Popular erhoben wurden.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Anteilseigner eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts im Fall einer vollständigen Herabschreibung der Aktien des Stammkapitals dieses Kreditinstituts nach der Richtlinie zur Bankenabwicklung dem Institut oder seinem Nachfolger nur die Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten aus herabgeschriebenen Kapitalinstrumenten entgegenhalten können, die zum Zeitpunkt der Abwicklung bereits „angefallen“ waren.

Wenn nämlich das Abwicklungsverfahren die Anwendung des „Bail-in-Instruments“ im Sinne dieser Richtlinie umfasst, dienen die Herabschreibung und Umwandlung von Kapitalinstrumenten im Rahmen des Bail-in unmittelbar der Verwirklichung der Abwicklungsziele. So bringen Nichtigkeits- und Haftungsklagen, die nach der Abwicklung erhoben werden, die Gefahr mit sich, dass der Betrag der Kapitalinstrumente, die einem solchen Bail-in unterliegen, rückwirkend verringert wird, soweit sie auf Schadensersatz oder Rückgewähr in Höhe der vor der Abwicklung für den Erwerb dieser Kapitalinstrumente gezahlten Mittel gerichtet sind.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass sich der Fall, in dem die Nichtigkeits- und Haftungsklagen vor der Abwicklung erhoben wurden, wesentlich von der Situation von nach der Abwicklung erhobenen Klagen unterscheidet.

Im Gegensatz zu diesen nachfolgenden Klagen sind die vor der Abwicklung erhobenen Klagen nicht geeignet, die Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Instituts und den darauf beruhenden Abwicklungsbeschluss in Frage zu stellen, und können daher nicht dazu führen, der Abwicklung die praktische Wirksamkeit zu nehmen oder ihre Durchführung zu erschweren. Somit können vor der Abwicklung erhobene Klagen nicht als rückwirkend angesehen werden, da die finanziellen Risiken, die sich aus anhängigen Rechtsstreitigkeiten ergeben, zwingend in den Büchern von börsennotierten Banken erfasst werden.

Zu dem Umstand, dass bei der Bewertung gegebenenfalls nicht alle erhobenen Rechtsbehelfe berücksichtigt sind, weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein solches Maß an Ungewissheit bei jeder „Bestandsaufnahme“ gegeben ist und als Teil des allgemeinen Risikos angesehen werden kann, das im Rahmen der Abwicklung gemäß der Richtlinie zur Bankenabwicklung akzeptiert werden muss, insbesondere von dem Unternehmen, das das in Abwicklung befindliche Kreditinstitut erwirbt. Insoweit sieht diese Richtlinie eine „faire, vorsichtige und realistische“ Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Kreditinstituts vor, ohne vorauszusetzen, dass die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vollständig und in allen Einzelheiten bewertet werden. Insbesondere kann sich die Abwicklungsbehörde nach den Bestimmungen der Richtlinie auf eine vorläufige Bewertung beschränken und Schätzungen der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vornehmen, wenn es aufgrund der gebotenen Dringlichkeit nicht möglich ist, die Aufstellung der bilanziellen und außerbilanziellen offenen Verbindlichkeiten zu erstellen.

Darüber hinaus ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Ansprüche, die sich aus vor der Abwicklung erhobenen Nichtigkeits- und Haftungsklagen ergeben, als „angefallen“ angesehen werden können, ohne dass zum Zeitpunkt der Abwicklung rechtskräftig über sie entschieden worden sein muss. Die Geltendmachung dieser Ansprüche hinge ansonsten von Umständen ab, die sich dem Einfluss der klagenden Person im Wesentlichen entziehen, obwohl diese die gebotene Sorgfalt unter Beweis gestellt hat, um die Befriedigung der Forderungen vor der Abwicklung zu erreichen.

Würde man diese Ansprüche als nicht „angefallen“ ansehen, so hätte dies zur Folge, dass der Abwicklungsbeschluss die anhängigen Gerichtsverfahren gegenstandslos machen würde, die beendet werden müssten. Dies wäre ein schwerwiegender Eingriff in das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Auslegung, die es Anteilseignern und Gläubigern ermöglicht, Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen weiterzuverfolgen, die zum Zeitpunkt der Abwicklung bereits anhängig sind, nicht geeignet ist, die Finanzstabilität der Union zu gefährden. Sie beeinträchtigt ferner die Rechte etwaiger Erwerber eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts sowie des Nachfolgeunternehmens nach Abwicklung nicht unverhältnismäßig, da die Erwerber – bevor sie ihr Angebot zum Erwerb dieses Instituts abgeben – auch die Verbindlichkeiten des Instituts in Erfahrung bringen können, die aus den Ansprüchen aus solchen Klagen bestehen.



[1] Es handelt sich dabei insbesondere um Angaben in dem Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist.

[2] Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 5. 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen.

[3] Urteile vom 5. 5. 2022, Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular), C-410/20, und vom 5. 9. 2024, Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular II), C-775/22, C-779/22 und C-794/22. Im ersten Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie zur Bankenabwicklung dem entgegensteht, dass nach der im Rahmen der Abwicklung eines Finanzinstituts angeordneten vollständigen Herabschreibung der Aktien gegen dieses Institut oder seinen Rechtsnachfolger solche Klagen – die Verträge über die Zeichnung von Aktien von Banco Popular betrafen – erhoben werden können. Im zweiten Urteil hat der Gerichtshof dieses Hindernis aufgrund ihrer Rückwirkung auch für die Erhebung solcher Klagen in Bezug auf Verträge über die Zeichnung nachrangiger Schuldverschreibungen anerkannt, die vor der Abwicklung von Banco Popular in Aktien dieser Bank umgewandelt worden waren.

stats