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Wirtschaft
24.10.2025
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EuGH: Staatliche Beihilfen: Die Kommission hätte die Vereinbarkeit der Direktvergabe mit europäischem Vergaberecht überprüfen müssen – “Paks II”

EuGH (Große Kammer), Urteil vom 11. 9. 2025 – Rs. C-59/23 P; Republik Österreich gegen Europäische Kommission u.a.; ECLI:EU:C:2025:686

Pressemitteilung

Der Gerichtshof erklärt den Beschluss der Kommission über die Genehmigung der Beihilfe Ungarns für das Kernkraftwerk Paks II für nichtig

Die Kommission hätte prüfen müssen, ob die Direktvergabe des Auftrags für den Bau der zwei neuen Kernreaktoren an ein russisches Unternehmen mit den vergaberechtlichen Vorschriften der Union vereinbar ist

Auf ein von Österreich erhobenes Rechtsmittel hin hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts der Europäischen Union in dieser Rechtssache auf und erklärt den Beschluss der Europäischen Kommission über die Genehmigung der Beihilfe Ungarns für den Bau von zwei Kernreaktoren am Standort des Atomkraftwerks Paks für nichtig. Da der Bau der zwei Reaktoren vom Zweck der Beihilfe umfasst und die Direktvergabe des Bauauftrags an ein russisches Unternehmen untrennbar mit diesem Zweck verbunden ist, hätte die Kommission prüfen müssen, ob diese Direktvergabe ohne Durchführung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens mit den vergaberechtlichen Vorschriften der Union vereinbar ist.

Mit Beschluss vom 6. März 2017[1] genehmigte die Kommission die Investitionsbeihilfe, die Ungarn dem staatlichen Unternehmen MVM Paks II2[2] für die Entwicklung von zwei neuen Kernreaktoren am Standort des Atomkraftwerks Paks zu gewähren beabsichtigte. Diese neuen Reaktoren sollten sukzessive die vier vorhandenen Reaktoren ersetzen. Die Gesellschaft MVM Paks II sollte unentgeltlich Eigentümerin und Betreiberin der beiden neuen Reaktoren werden. Ihr Bau sollte vollständig durch den ungarischen Staat finanziert werden.

Mit dem Bau der neuen Reaktoren wurde im Wege einer Direktvergabe[3] die russische Gesellschaft Nizhny Novgorod Engineering[4] beauftragt, und zwar gemäß einem Abkommen zwischen Russland und Ungarn über die Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie. In diesem Abkommen verpflichtete sich Russland, Ungarn ein staatliches Darlehen zur Finanzierung des größten Teils der Errichtung der neuen Reaktoren zu gewähren.[5] Österreich[6] focht den Genehmigungsbeschluss der Kommission[7] beim Gericht an. Mit Urteil vom 30. 11. 2022[8] wies das Gericht die Klage ab. Österreich[9] legte daraufhin beim Gerichtshof ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts ein.

Der Gerichtshof hebt das Urteil des Gerichts auf und erklärt den Genehmigungsbeschluss der Kommission für nichtig.

Er stellt insbesondere fest, dass sich die Kommission entgegen der Entscheidung des Gerichts nicht damit begnügen durfte, zu prüfen, ob die in Rede stehende Beihilfe mit den beihilferechtlichen Regeln der Union vereinbar ist.

Vielmehr hätte sie auch prüfen müssen, ob die Direktvergabe des Auftrags für den Bau der zwei neuen Kernreaktoren mit den Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge vereinbar ist.

Der Bau der zwei Reaktoren bildete nämlich einen integralen Bestandteil der von Ungarn angemeldeten Maßnahme, die der unentgeltlichen Überlassung dieser Reaktoren an die Gesellschaft Paks II diente. Zudem war die Direktvergabe des Bauauftrags für die Verwirklichung des Zwecks dieser Beihilfe unerlässlich und stellt daher eine mit diesem untrennbar verbundene Modalität dar.[10]

Der Gerichtshof führt aus, dass sich die Durchführung eines offenen Ausschreibungsverfahrens betreffend die Vergabe eines Auftrags für den Bau von Infrastruktur insbesondere auf die für diesen Bau erforderlichen Investitionskosten und die Eigenschaften dieser Infrastruktur auswirken kann. In weiterer Folge kann ein solches Verfahren auch den Umfang des Vorteils beeinflussen, der einem Unternehmen oder einer Gruppe von Unternehmen auf diese Weise gewährt wird.

Soweit die Kommission in ihrem Genehmigungsbeschluss davon ausging, dass die Direktvergabe des Bauauftrags jedenfalls mit den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge vereinbar sei, ist ihr Beschluss außerdem nicht ausreichend begründet. Ein bloßer Verweis auf das Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission 2015 wegen der Direktvergabe des Bauauftrags gegen Ungarn eingeleitet und mit der Begründung eingestellt hatte, dass diese Vergabe mit den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge vereinbar sei, genügt nicht, da die spezifischen Gründe, die zu diesem Ergebnis geführt haben, auf diese Weise nicht nachvollzogen werden können.

 



[1] Beschluss (EU) 2017/2112 der Kommission vom 6. 3. 2017 über die von Ungarn geplante Maßnahme/Beihilferegelung/Staatliche Beihilfe SA.38454 – 2015/C (ex 2015/N) für den Bau von zwei Kernreaktoren im Atomkraftwerk Paks II.

[2] MVM Paks II Nuclear Power Plant Development Private Company Limited by Shares.

[3] Ohne Durchführung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens.

[4] Nizhny Novgorod Engineering Company Atomenergoproekt.

[5] Russland verpflichtete sich, eine revolvierende Kreditfazilität von 10 Mrd. Euro zu gewähren. Ungarn wird einen weiteren Betrag von 2,5 Mrd. Euro aus eigenen Mitteln aufbringen.

[6] Unterstützt durch Luxemburg.

[7] Die Kommission wurde durch Ungarn, die Tschechische Republik, Frankreich, Polen, die Slowakei und das Vereinigte Königreich unterstützt.

[8] Urteil des Gerichts vom 30. 11. 2022, Österreich/Kommission, T-101/18 (vgl. auch PM Nr. 192/22).

[9] Wieder unterstützt durch Luxemburg. Demgegenüber wird die Kommission durch Ungarn, die Tschechische Republik, Frankreich und Polen unterstützt.

[10] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die Kommission Verstöße gegen andere Bestimmungen des Unionsrechts als jene zu staatlichen Beihilfen berücksichtigen, wenn sich ein solcher Verstoß aus der finanzierten wirtschaftlichen Tätigkeit, aus der Beihilfe oder ihrem Zweck als solchen oder aber aus untrennbar mit dem Zweck der Beihilfe verbundenen Modalitäten ergibt.

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